Beschreibung der Veranstaltung, die ich mit meinen Schülern am 15. Juni 2011 organisiert habe. Das Projekt hat im Rahmen der Polnisch-AG stattgefunden, die ich seit August 2010 an meiner Schule (Gymnasium Traben-Trarbach) leite.
Ziele des Projekts
• die Vermittlung des Wissens zu Kultur und Alltag in Polen;
• die SchülerInnen haben die polnischen Sitten, Bräuche und Traditionen besser kennen gelernt, die es in Deutschland nicht gibt oder die in Deutschland ganz anders gefeiert werden;
• sie haben erfahren, was „typisch polnisch“ ist. Sie haben gelernt, in einer Gruppe zu arbeiten;
• die Gäste, die zum Sommerfest kommen und deswegen auch an dem polnischen Tag teilnehmen, bekommen ebenfalls eine Chance, interessante polnische Sitten und Bräuche kennen zu lernen;
• die deutschen Schüler hatten eine Möglichkeit, sich mit Gästen aus Polen zu unterhalten und mit ihnen über die Polnisch-AG und über polnische Tradition zu sprechen.
Methoden
• Gruppenarbeit: die Schüler haben in Gruppen (4 Gruppen – 4 Jahreszeiten) gearbeitet. Jede Gruppe hat eine Jahreszeit ausgelost. Jede Gruppe hat schriftliche Informationen zu ihrer Jahreszeit bekommen und sie in Form eines Posters bearbeitet. Die Schüler konnten auch basteln, z.B. eine Puppe, denn am 21. März ertränkt man in Polen eine gebastelte Puppe, die den Winter symbolisiert.
• Das Sommerfest hat am Gymnasium Traben-Trarbach am 15. Juni am Nachmittag stattgefunden. Der polnische Stand wurde mithilfe der Schülerverwaltung aufgebaut und vorbereitet, damit die Schüler die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren können.
In welcher Form haben die Jugendlichen an der Vorbereitung des
Projektes teilgenommen?
• Die SchülerInnen haben entschieden, womit sie sich am „polnischen Tag“ beschäftigen werden. Es sind Schüler und Schülerinnen, die seit Anfang des Schuljahres die Polnisch-AG besuchen.
• Im Rahmen der Polnisch-AG haben sie viel über Polen, über den Alltag und die Kultur gelernt. Es gibt Bräuche und Traditionen, die ihnen besonders gefallen haben. Die Kinder haben sich auch an der Vorbereitung des Projekts beteiligt (sie haben die Materialien gesammelt, die wir gebraucht haben, um das Projekt durchzuführen). Anschließend haben wir den polnischen Stand zum Sommerfest vorbereitet, um vorzustellen, was die SchülerInnen geleistet haben.
• Die Schüler und die Schülerinnen haben bei der Aufstellung des Standes geholfen und dann das Essen und die Getränke verkauft. Den Gästen haben sie die Ergebnisse ihrer Arbeit an dem Projekt vorgestellt.
Der Verlauf des Projektes
• 26.05.2011 (Polnisch-AG) : Eine kurze Darstellung der Bedeutung der Tradition in Polen – Wiederholung (Betreuerin): Die Polen gelten als ein Volk, das gerne feiert, und das an Traditionen und an alten Bräuchen festhält. Die ältesten Bräuche, insbesondere jene, die noch heidnischer Herkunft sind, haben ihren magischen Charakter längst verloren und sind heute vor allem Relikte der Vergangenheit, an denen man vor allem aus Sentimentalität festhält, oder auch einfach nur, weil man seinen Spaß an ihnen hat. Die Traditionsgebundenheit der Polen wird besonders während der kirchlichen Feierlichkeiten wie Weihnachten, Ostern, Fronleichnam und Allerheiligen sichtbar.
• 26.05. und 2.06.2011 (Polnisch-AG) : Die Einteilung in Gruppen, die Auslosung und anschließend die Gruppenarbeit
• 9.06.2011 (Polnisch-AG) : Die Präsentation der Ergebnisse der Gruppenarbeit
• 15.06.2011 : Die Vorbereitung des polnischen Standes zum Sommerfest am Gymnasium Traben-Trarbach.
• 15.06.2011 : Die Präsentation der Ergebnisse des Projekts während des
Sommerfestes. Die Schüler haben auch das Essen und die Getränke verkauft, die von Mitteln des DPJW gekauft wurden. Die Gäste haben auch eine Landkarte Polens geschenkt bekommen.
Welche Ergebnisse hat das Projekt gebracht?
• Die Schüler, die die Polnisch-AG jede Woche besuchen, haben das Gelernte wiederholt und auch Neues erfahren. Sie haben interessante polnische Sitten und Bräuche kennen gelernt, die es in Deutschland nicht gibt.
• An dem Projekt haben die Schüler in Gruppen gearbeitet. Sie haben gelernt, wie man in einer Gruppe arbeitet. Die Gruppenarbeit ist immer damit verbunden, dass man gemeinsam Probleme bespricht und löst. Die Schüler haben es gut geschafft. Sie haben gemeinsam die Posters vorbereitet und auf dem Sommerfest haben sie jeweils beim Verkaufen von Essen und Getränken getauscht.
• Die Gäste aus Polen, die das Gymnasium Traben-Trarbach vom 13. bis zum 17. Juni besucht haben, waren auch beim polnischen Tag dabei. Sie haben mit den Schülern gesprochen und die Ergebnisse ihrer Arbeit gesehen.
• Zum Sommerfest kamen auch die Eltern, Geschwister und ebenfalls die Lokalbevölkerung. Alle hatten die Möglichkeit, den polnischen Stand zu sehen und eine Landkarte Polens zu bekommen. Sie haben sich ebenfalls die von den Schülern vorbereiteten Posters angeschaut und etwas über polnische Sitten und Bräuche erfahren.
Eine Internetseite für alle, die an der Germanistik und an der deutschen Sprache interessiert sind.
21.8.11
13.8.11
Deutsches Eck
Hier sind Fotos, die ich im Juni in Koblenz gemacht habe. Deutsches Eck ist eine Landzunge in Koblenz. Es befindet sich an der Mündung der Mosel in den Rhein (am Zusammenfluss von Rhein und Mosel). Zu sehen ist auch ein Denkmal: ein Reiterstandsbild des deutschen Kaisers Wilhelm I. Das Monument ist 37 Meter hoch. Die Idee, dem Kaiser Wilhelm I. ein Denkmal zu setzen, entstand im Jahre 1888, kurz nach seinem Tode. Nach drei Kriegen hat er zur vollendeten Einigung Deutschlands geführt. Sein Enkel, Kaiser Wilhelm II., wählte 1891 das Deutsche Eck als einen geeigneten Ort. Das Denkmal wurde von Bruno Schmitz in den Jahren 1893-1897 errichtet. Am 31. August 1891 wurde das Monument eingeweiht.
"Niewidzialny mur"
Nic dodać, nic ująć. Trzeci rok mieszkam w zachodnich Niemczech, ale znam dobrze też wschodnie Niemcy i myślę, że różnicę widać gołym okiem. Poza tym pensje na wschodzie Niemiec są znacznie niższe, o czym świadczy fakt, że minimalna płaca za godzinę na wschodzie i na zachodzie Niemiec jest inna. Na wschodzie oczywiście niższa.
Zachęcam do skopiowania linku i przeczytania artykułu:
http://fakty.interia.pl/new-york-times/news/niewidzialny-mur-wciaz-dzieli-niemcy,1679843,6806
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11.8.11
Im Mai, im Mai schrie der Kuckuck
Borcherts Kriegsheimkehrer aus der Kurzgeschichte Im Mai, im Mai schrie der Kuckuck
Mein Text:
Borcherts Kriegsheimkehrer sehnen sich oft nach der Zeit der Kindheit. Dies gilt auch für die Geschichte Im Mai, im Mai schrie der Kuckuck. Der Protagonist erlebt ein „Kuckucksschicksal“. Die Handlung spielt im Mai, also im Monat der Kapitulation Deutschlands. Der Protagonist hat die krankhafte Imagination, „von der Mutter verstoβen zu sein“. Er fühlt sich so einsam wie der Kuckuck, der seine „Einsamkeit schreit“. Deswegen bezeichnet der junge Mann sein Schicksal als „Kuckucksschicksal“ – es handelt sich um die Einsamkeit, also um das Schicksal der Heimkehrer seiner Generation. In der Geschichte werden die Auswirkungen des Krieges auf die Psyche gezeigt. So wird die Nervenspannung entladen.
Der junge Mann denkt über verschiedene Monate nach. Die Monate führen bestimmte Assoziationen vor Augen: die Novembernächte in den vereinsamten mausgrauen Städten, Märzmorgenschreie, novemberträchtige Lokomotivenschreie, die Klarinettenschreie an Septemberabenden, Aprilschreie der Katzen, die einsamen januareisigen Schreie (Borchert 1947: 267-268). Aber Mai ist ein besonderer Monat: auch im Mai hört man überall Geräusche, die man auch in anderen Monaten hört, aber hinzu kommt der Kuckuck, der den Heimkehrer an seine Einsamkeit, an sein Ausgeschlossensein, an sein Aufdemwegsein erinnert. Er will vor diesem Schrei fliehen, ihn nicht mehr hören, aber dies erweist sich als unmöglich, denn dieser Schrei ist wie ein pochendes lebendiges Herz, Der Kuckuck macht dich verrückt (Borchert 1947: 268), Der Kuckuck lacht dich aus, wenn du fliehst (Ebenda: 269). Denn er weiβ, dass der Heimkehrer nicht fliehen kann, dass er keine Zuflucht finden kann. Der Heimkehrer ist allein, er ist mit seinem „Weltschmerz“ einsam. Ihn begleitet nur die Sehnsucht nach Liebe. Er sieht den Kuckuck als einen brüderlichen Vogel (Borchert 1947: 269), weil er auch einsam ist, weil er seine Einsamkeit besingt. So kann der Heimkehrer sich mit dem Vogel identifizieren: er ist ebenso „verstoβen“, ebenso „ausgesetzt“. Beide „Brüder“ sehnen sich in der Geschichte nach der Liebe der Mutter, die für Liebe und Geborgenheit steht. Der Schrei des Kuckucks bekräftigt den Eindruck der Einsamkeit des Heimkehrers. Er wirft zu Recht die Frage auf, ob die Dichter das Alleinsein aussprechen können. Es erweist sich als unmöglich – das Gefühl des Ausgeschlossenseins ist wie ein glühendes Skalpell, das durch Stein dringt.
Nicht einmal die Dichter mit ihrem ausgefallenen Wortschatz sind im Stande, die Einsamkeit der Heimkehrer zu besingen. Keine Worte können sie wiedergeben, kein Vokabular kann sie zur Anschauung bringen. In der Geschichte äuβert Borchert seine Meinung dazu, wie er die Sorgen seiner Generation zu Feder bringen will. Er hat keine Metaphern parat. Die Dichter sollten die Wirklichkeit literarisch verwirklichen, indem sie auf extravagante Ausdrucksmittel verzichten. Nur eine karge Sprache bezeugt eine Art von Respekt für die Kriegsleiden der Menschen. Um dies zu erreichen, müssen die Dichter die Wirklichkeit so beschreiben, wie sie ist: wie man einen Schuh macht, einen Fisch fängt und ein Dach dichtet. Sie sollten vor den wahren Vokabeln der Welt (Borchert 1947: 269) nicht fliehen und die einfachsten Ausdrucksmittel verwenden. Seine Gedanken spricht der junge Heimkehrer aus: wer weiβ einen Reim auf das Röcheln einer zerschossenen Lunge, einen Reim auf einen Hinrichtungsschrei, wer kennt das Versmaβ, das rhythmische, für eine Vergewaltigung, wer weiβ ein Versmaβ für das Gebell der Maschinengewehre, eine Vokabel für den frisch verstummten Schrei eines toten Pferdeauges, in dem sich kein Himmel mehr spiegelt und nicht mal die brennenden Dörfer, welche Druckerei hat ein Zeichen für das Rostrot der Güterwagen, dieses Weltbrandrot, dieses angetrocknete blutigverkrustete Rot auf weiβer menschlicher Haut? (Borchert 1947: 269-270).
Die Gedanken des Heimkehrers kann man in Borcherts Manifest finden. Den Sprachduktus für die Erlebnisse seiner Generation kann er nur in karger, einfacher Sprache finden. Sprachdekor soll fehlen. Die Kargheit der Sprache wird bei Borchert zum Stilprinzip. Er postuliert die Abwendung von der rein literarischen Sprache. Der junge Mann in der Geschichte weiβ, dass die Literatur an grausamen Kriegserfahrungen nicht vorbeigehen kann. Die Dichter können über den Krieg nicht so leicht hinweg. Sonst würden sie die Glaubwürdigkeit der Literatur beträchtlich unterhöhlen. Der Heimkehrer ist fest davon überzeugt, dass die Dichter den Stoff für ihre Werke dem Leben entnehmen werden. Es wäre allerdings verfehlt, zu glauben, dass die Literatur das Schicksal der Heimkehrer völlig wiedergeben kann: der junge Mann weiβ, dass literarische Werke von lakonischer Kürze sind im Vergleich zum wahren Leben. Die Versuche, ein Buch über die Kriegserlebnisse zu verfassen, beschreibt er als tollkühn und sinnlos (Borchert 1947: 270). Er weiβ jedoch, dass die Dichter trotzdem versuchen werden, einen Sprachduktus zu finden, der dies zum Ausdruck bringen könnte. Verzweifelt bezeichnet er das Leben als Sisyphusseiten (Borchert 1947: 271). Diese Äuβerung lässt Bedenken aufkommen, ob der Heimkehrer sich noch irgendwann in der Welt zurechtfinden kann. Es stellt sich heraus, dass er in Kontakt zu anderen Menschen nicht treten kann. Er ist menschen- und weltfremd.
Der Mai, der Frühling ist die Zeit der Wiedergeburt, des Erblühens der Welt, aber der Heimkehrer fühlt sich nur einsam, er hat ein Fremdlingsherz (Borchert 1947: 270). Das Land, in das er zurückgekehrt ist, ist nicht mehr sein Land. Er kann sich nur an bessere Zeiten erinnern, mit denen höchstwahrscheinlich die Zeit der Kindheit gemeint wird. Sein beklemmendes Gefühl der Einsamkeit kann er nicht ausschreien: niemand will ihn anhören. Von dieser Situation lässt sich eines der Probleme der Heimkehrer aufrollen: es handelt sich nämlich um die Gesellschaft, die die Heimkehrer nicht aufnehmen kann. Der junge Mann ist einsam, er beneidet die Menschen in der Straβenbahn, die bestimmt das Ziel ihrer Reise kennen. Sie wissen, dass sie ihr Ziel erreichen. Sie haben weder Hunger noch Heimweh (Borchert 1947: 271), im Gegenteil zum jungen Heimkehrer, der kein alltägliches Leben leben kann. Der Anblick der zerstörten Heimat muss ständig seine Kriegserinnerungen evozieren. Er ist sich dessen bewusst, dass die Menschen in der Straβenbahn an alltägliche Angelegenheiten denken. Der Krieg gehört nicht mehr zu ihren Interessen und sie benehmen sich, als ob nichts geschehen wäre. Sie haben Mittel (...) gegen Heimweh und Hunger (Borchert 1947: 272) und können sich so geborgen fühlen. Kein Kuckucksschrei erinnert sie an grausame Erlebnisse, kein Kuckucksschrei bedrückt ihr Gewissen. Es sind Menschen, die in ihrem Familienleben glücklich sind, die ein normales Leben führen, deren Alltag im krassen Widerspruch zum grauen Heimkehreralltag steht: Ein verheirateter Straβenbahnschaffner hat womöglich einen kleinen Garten, einen Balkonkasten oder er bastelt für seine fünf Kinder Segelschiffe (Borchert 1947: 272). Andere Menschen haben keine Angst, der Kuckucksschrei dringt in ihr Bewusstsein nicht, sie erzählen der Generation ihrer Kinder von Kriegsleiden nicht. Der Heimkehrer gehört der Straβe, die Straβenbahn fährt ab. Er kann sich ins geborgene Zuhause nicht begeben, die Straβe muss ihm all das ersetzen, wonach er sich sehnt: Die Straβe ist ihr Himmel, ihr andächtiges Schreiten, ihr toller Tanz, ihre Hölle, ihr Bett (mit Parkbänken und Brückenbogen), ihre Mutter und ihr Mädchen. Diese grauharte Straβe ist ihr staubiger schweigsam verläβlicher Kumpel, stur, treu, beständig. (...) Diese Straβe ist ihre Verzagtheit und ihr abenteuerlicher Mut (Borchert 1947: 273-274). Andererseits bedeutet die Straβe Einsamkeit, weil die genannten Aspekte nur scheinhaft sind: auf der Straβe gibt es keine hilfreiche Hand, nur der Schrei des Kuckucks, des einsamen Vogels, ist zu hören.
In der Stadt, in die der junge Mann zurückgekehrt ist, wohnen tausende Menschen. Trotzdem ist er vereinsamt in der millionenfenstrigen Stadt (Borchert 1947: 274). Nur selten ist ein Fenster offen für ihn. Auf seine Sehnsucht reagiert eindlich eine Frau: ihr Fenster ist offen. Endlich spürt er die Nähe eines anderen Menschen, endlich ist jemand zuvorkommend zu ihm. Er ist jedoch nicht bereit, sich der Frau zu nähern, ist erschrocken und denkt an den Kuckuck, den man nachts hören kann. Die zwischenmenschlichen Beziehungen können für ihn nicht in Betracht kommen, er kann sich nur in seine Eigenwelt einspinnen. Dies bekräftigt den Eindruck des Alleinseins, so macht sich sein Ausgeschlossensein bemerkbar. Einen direkten Kontakt zu der Frau empfindet er als eine hautnahe Bedrohung. Er muss die erwartete Männerrolle verweigern. Er kann der Vorstellung vom Mann dieser Frau nicht entsprechen. Wegen gestörter seelischer Verfassung kann der Heimkehrer nur flüchtige Kontakte mit Frauen etablieren. Er kann keine normalen Beziehungen zu Frauen entwickeln. Die Annäherung erweist sich als unmöglich.
Die Gedanken der Frau kreisen um das Alter des Mannes: Er ist höchstens zwanzig (...) Er ist viel zu jung (Borchert 1947: 278). Vor Müdigkeit schläft der Mann schnell ein. Am nächsten Tag ist er sich dessen bewusst, dass die Frau eine andere Reaktion von ihm erwartet hat. Er erzählt ihr über die Kriegserfahrungen und sagt ihr, dass er dank ihnen ein Mann und nicht mehr ein Kind ist. Im Krieg, im Kampf auf den Schlachtfeldern ist er zu einem Mann geworden. So lässt er keine Bedenken aufkommen: er ist ein Mann, der harte Erfahrungen hinter sich hat. Im Krieg hat er aufgehört, ein Kind zu sein. Damals ist die ungetrübte Zeit der Kindheit zu Ende gegangen. Weiter erinnert er sich an den Morgen, an dem er mit seinen Altersgenossen die Heimat verlassen musste, um in den Krieg zu ziehen. Er erinnert sich an den Abschied von seinen Eltern, die jetzt, nach dem Krieg wahrscheinlich tot sind. Nach der Rückkehr nach Deutschland hat niemand auf ihn gewartet. Wie schon erwähnt, haben die meisten Heimkehrer ihre Familien verloren und der Staat hat sich um sie nicht gekümmert. So kann der junge Mann nur Gott Vorwürfe machen, weil niemand ihn anhören will: dann fluchten wir in den Himmel, in den taubstummen Himmel: Und führe uns niemals in Fahnenflucht und vergib uns unsere MGs, vergib uns, aber keiner keiner war da, der uns vergab, es war keiner da (Borchert 1947: 283). Auch wenn er seine Kriegserfahrungen beschreiben möchte, kann er kein entsprechendes Vokabular finden: denn uns fehlen die Vokabeln, um nur eine Sekunde von ihm wiederzugeben, nur für eine Sekunde (Borchert 1947: 283).
Jetzt, nach dem Krieg, ist der junge Mann unterwegs. Er träumt von einer anderen Welt, von einer utopischen Welt, in der man die Dinge beim Namen nennen könnte, in der man jedes Ding so bezeichnen könnte, wie es ist, in der keine Worte fehlen würden, um die Erlebnisse, die Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Er träumt von einer Welt, in der die Heimkehrer Hilfe vom Staat bekommen würden, in der die Öffentlichkeit ihr Problem nicht ausgrenzen würde, in der die Gefühle nicht unterdrückt würden, in der man die jungen Menschen um ihr Schicksal, um ihre Zukunft nicht betrogen hätte: Und die neue Stadt, das ist die Stadt, in der die weisen Männer, die Lehrer und die Minister, nicht lügen, in der die Dichter sich von nichts anderem verführen lassen, als von der Vernunft ihres Herzens, das ist die Stadt, in der die Mütter nicht sterben und die Mädchen keine Syphilis haben, die Stadt, in der es keine Werkstätten für Prothesen und keine Rollstühle gibt, das ist die Stadt, in der der Regen R e g e n genannt wird und die Sonne S o n n e (Borchert 1947: 285).
Er träumt von einer Welt, in der der grausame Kriegsmechanismus und seine Konsequenzen die Menschen nicht in Verzweiflung treiben würden: die Stadt, in der es keine Keller gibt, in denen blaβgesichtige Kinder nachts von Ratten angefressen werden, und in der es keine Dachböden gibt, in denen sich die Väter erhängen, weil die Frauen kein Brot auf den Tisch stellen können, das ist die Stadt, in der die Jünglinge nicht blind und nicht einarmig sind und in der es keine Generäle gibt (Borchert 1947: 285). Hier spricht Borchert die unmittelbaren Konsequenzen des Kriegs an.
Es sind jedoch nur die Träume des jungen Mannes: das Ende der Geschichte sieht so wie die Ausgangssituation aus: Der Schluβ ist dann so wie alle wirklichen Schlüsse im Leben: banal, wortlos, überwältigend (Borchert 1947: 287). Der Heimkehrer steht einsam auf der Straβe, seine Seinsleere enthüllt sich, als er seinen Blick auf die graue Stadt richtet. Er empfindet den „Weltschmerz“ und auch der Gedanke daran, dass er nie wieder nach Russland muss, stellt keinen Trost dar, weil er so wie Beckmann „drauβen vor der Tür“ steht.
QUELLEN:
Primärliteratur:
BORCHERT, Wolfgang (1947): Im Mai, im Mai schrie der Kuckuck. In: Das Gesamtwerk, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Taschenbuch Verlag 2009.
Mein Text:
Borcherts Kriegsheimkehrer sehnen sich oft nach der Zeit der Kindheit. Dies gilt auch für die Geschichte Im Mai, im Mai schrie der Kuckuck. Der Protagonist erlebt ein „Kuckucksschicksal“. Die Handlung spielt im Mai, also im Monat der Kapitulation Deutschlands. Der Protagonist hat die krankhafte Imagination, „von der Mutter verstoβen zu sein“. Er fühlt sich so einsam wie der Kuckuck, der seine „Einsamkeit schreit“. Deswegen bezeichnet der junge Mann sein Schicksal als „Kuckucksschicksal“ – es handelt sich um die Einsamkeit, also um das Schicksal der Heimkehrer seiner Generation. In der Geschichte werden die Auswirkungen des Krieges auf die Psyche gezeigt. So wird die Nervenspannung entladen.
Der junge Mann denkt über verschiedene Monate nach. Die Monate führen bestimmte Assoziationen vor Augen: die Novembernächte in den vereinsamten mausgrauen Städten, Märzmorgenschreie, novemberträchtige Lokomotivenschreie, die Klarinettenschreie an Septemberabenden, Aprilschreie der Katzen, die einsamen januareisigen Schreie (Borchert 1947: 267-268). Aber Mai ist ein besonderer Monat: auch im Mai hört man überall Geräusche, die man auch in anderen Monaten hört, aber hinzu kommt der Kuckuck, der den Heimkehrer an seine Einsamkeit, an sein Ausgeschlossensein, an sein Aufdemwegsein erinnert. Er will vor diesem Schrei fliehen, ihn nicht mehr hören, aber dies erweist sich als unmöglich, denn dieser Schrei ist wie ein pochendes lebendiges Herz, Der Kuckuck macht dich verrückt (Borchert 1947: 268), Der Kuckuck lacht dich aus, wenn du fliehst (Ebenda: 269). Denn er weiβ, dass der Heimkehrer nicht fliehen kann, dass er keine Zuflucht finden kann. Der Heimkehrer ist allein, er ist mit seinem „Weltschmerz“ einsam. Ihn begleitet nur die Sehnsucht nach Liebe. Er sieht den Kuckuck als einen brüderlichen Vogel (Borchert 1947: 269), weil er auch einsam ist, weil er seine Einsamkeit besingt. So kann der Heimkehrer sich mit dem Vogel identifizieren: er ist ebenso „verstoβen“, ebenso „ausgesetzt“. Beide „Brüder“ sehnen sich in der Geschichte nach der Liebe der Mutter, die für Liebe und Geborgenheit steht. Der Schrei des Kuckucks bekräftigt den Eindruck der Einsamkeit des Heimkehrers. Er wirft zu Recht die Frage auf, ob die Dichter das Alleinsein aussprechen können. Es erweist sich als unmöglich – das Gefühl des Ausgeschlossenseins ist wie ein glühendes Skalpell, das durch Stein dringt.
Nicht einmal die Dichter mit ihrem ausgefallenen Wortschatz sind im Stande, die Einsamkeit der Heimkehrer zu besingen. Keine Worte können sie wiedergeben, kein Vokabular kann sie zur Anschauung bringen. In der Geschichte äuβert Borchert seine Meinung dazu, wie er die Sorgen seiner Generation zu Feder bringen will. Er hat keine Metaphern parat. Die Dichter sollten die Wirklichkeit literarisch verwirklichen, indem sie auf extravagante Ausdrucksmittel verzichten. Nur eine karge Sprache bezeugt eine Art von Respekt für die Kriegsleiden der Menschen. Um dies zu erreichen, müssen die Dichter die Wirklichkeit so beschreiben, wie sie ist: wie man einen Schuh macht, einen Fisch fängt und ein Dach dichtet. Sie sollten vor den wahren Vokabeln der Welt (Borchert 1947: 269) nicht fliehen und die einfachsten Ausdrucksmittel verwenden. Seine Gedanken spricht der junge Heimkehrer aus: wer weiβ einen Reim auf das Röcheln einer zerschossenen Lunge, einen Reim auf einen Hinrichtungsschrei, wer kennt das Versmaβ, das rhythmische, für eine Vergewaltigung, wer weiβ ein Versmaβ für das Gebell der Maschinengewehre, eine Vokabel für den frisch verstummten Schrei eines toten Pferdeauges, in dem sich kein Himmel mehr spiegelt und nicht mal die brennenden Dörfer, welche Druckerei hat ein Zeichen für das Rostrot der Güterwagen, dieses Weltbrandrot, dieses angetrocknete blutigverkrustete Rot auf weiβer menschlicher Haut? (Borchert 1947: 269-270).
Die Gedanken des Heimkehrers kann man in Borcherts Manifest finden. Den Sprachduktus für die Erlebnisse seiner Generation kann er nur in karger, einfacher Sprache finden. Sprachdekor soll fehlen. Die Kargheit der Sprache wird bei Borchert zum Stilprinzip. Er postuliert die Abwendung von der rein literarischen Sprache. Der junge Mann in der Geschichte weiβ, dass die Literatur an grausamen Kriegserfahrungen nicht vorbeigehen kann. Die Dichter können über den Krieg nicht so leicht hinweg. Sonst würden sie die Glaubwürdigkeit der Literatur beträchtlich unterhöhlen. Der Heimkehrer ist fest davon überzeugt, dass die Dichter den Stoff für ihre Werke dem Leben entnehmen werden. Es wäre allerdings verfehlt, zu glauben, dass die Literatur das Schicksal der Heimkehrer völlig wiedergeben kann: der junge Mann weiβ, dass literarische Werke von lakonischer Kürze sind im Vergleich zum wahren Leben. Die Versuche, ein Buch über die Kriegserlebnisse zu verfassen, beschreibt er als tollkühn und sinnlos (Borchert 1947: 270). Er weiβ jedoch, dass die Dichter trotzdem versuchen werden, einen Sprachduktus zu finden, der dies zum Ausdruck bringen könnte. Verzweifelt bezeichnet er das Leben als Sisyphusseiten (Borchert 1947: 271). Diese Äuβerung lässt Bedenken aufkommen, ob der Heimkehrer sich noch irgendwann in der Welt zurechtfinden kann. Es stellt sich heraus, dass er in Kontakt zu anderen Menschen nicht treten kann. Er ist menschen- und weltfremd.
Der Mai, der Frühling ist die Zeit der Wiedergeburt, des Erblühens der Welt, aber der Heimkehrer fühlt sich nur einsam, er hat ein Fremdlingsherz (Borchert 1947: 270). Das Land, in das er zurückgekehrt ist, ist nicht mehr sein Land. Er kann sich nur an bessere Zeiten erinnern, mit denen höchstwahrscheinlich die Zeit der Kindheit gemeint wird. Sein beklemmendes Gefühl der Einsamkeit kann er nicht ausschreien: niemand will ihn anhören. Von dieser Situation lässt sich eines der Probleme der Heimkehrer aufrollen: es handelt sich nämlich um die Gesellschaft, die die Heimkehrer nicht aufnehmen kann. Der junge Mann ist einsam, er beneidet die Menschen in der Straβenbahn, die bestimmt das Ziel ihrer Reise kennen. Sie wissen, dass sie ihr Ziel erreichen. Sie haben weder Hunger noch Heimweh (Borchert 1947: 271), im Gegenteil zum jungen Heimkehrer, der kein alltägliches Leben leben kann. Der Anblick der zerstörten Heimat muss ständig seine Kriegserinnerungen evozieren. Er ist sich dessen bewusst, dass die Menschen in der Straβenbahn an alltägliche Angelegenheiten denken. Der Krieg gehört nicht mehr zu ihren Interessen und sie benehmen sich, als ob nichts geschehen wäre. Sie haben Mittel (...) gegen Heimweh und Hunger (Borchert 1947: 272) und können sich so geborgen fühlen. Kein Kuckucksschrei erinnert sie an grausame Erlebnisse, kein Kuckucksschrei bedrückt ihr Gewissen. Es sind Menschen, die in ihrem Familienleben glücklich sind, die ein normales Leben führen, deren Alltag im krassen Widerspruch zum grauen Heimkehreralltag steht: Ein verheirateter Straβenbahnschaffner hat womöglich einen kleinen Garten, einen Balkonkasten oder er bastelt für seine fünf Kinder Segelschiffe (Borchert 1947: 272). Andere Menschen haben keine Angst, der Kuckucksschrei dringt in ihr Bewusstsein nicht, sie erzählen der Generation ihrer Kinder von Kriegsleiden nicht. Der Heimkehrer gehört der Straβe, die Straβenbahn fährt ab. Er kann sich ins geborgene Zuhause nicht begeben, die Straβe muss ihm all das ersetzen, wonach er sich sehnt: Die Straβe ist ihr Himmel, ihr andächtiges Schreiten, ihr toller Tanz, ihre Hölle, ihr Bett (mit Parkbänken und Brückenbogen), ihre Mutter und ihr Mädchen. Diese grauharte Straβe ist ihr staubiger schweigsam verläβlicher Kumpel, stur, treu, beständig. (...) Diese Straβe ist ihre Verzagtheit und ihr abenteuerlicher Mut (Borchert 1947: 273-274). Andererseits bedeutet die Straβe Einsamkeit, weil die genannten Aspekte nur scheinhaft sind: auf der Straβe gibt es keine hilfreiche Hand, nur der Schrei des Kuckucks, des einsamen Vogels, ist zu hören.
In der Stadt, in die der junge Mann zurückgekehrt ist, wohnen tausende Menschen. Trotzdem ist er vereinsamt in der millionenfenstrigen Stadt (Borchert 1947: 274). Nur selten ist ein Fenster offen für ihn. Auf seine Sehnsucht reagiert eindlich eine Frau: ihr Fenster ist offen. Endlich spürt er die Nähe eines anderen Menschen, endlich ist jemand zuvorkommend zu ihm. Er ist jedoch nicht bereit, sich der Frau zu nähern, ist erschrocken und denkt an den Kuckuck, den man nachts hören kann. Die zwischenmenschlichen Beziehungen können für ihn nicht in Betracht kommen, er kann sich nur in seine Eigenwelt einspinnen. Dies bekräftigt den Eindruck des Alleinseins, so macht sich sein Ausgeschlossensein bemerkbar. Einen direkten Kontakt zu der Frau empfindet er als eine hautnahe Bedrohung. Er muss die erwartete Männerrolle verweigern. Er kann der Vorstellung vom Mann dieser Frau nicht entsprechen. Wegen gestörter seelischer Verfassung kann der Heimkehrer nur flüchtige Kontakte mit Frauen etablieren. Er kann keine normalen Beziehungen zu Frauen entwickeln. Die Annäherung erweist sich als unmöglich.
Die Gedanken der Frau kreisen um das Alter des Mannes: Er ist höchstens zwanzig (...) Er ist viel zu jung (Borchert 1947: 278). Vor Müdigkeit schläft der Mann schnell ein. Am nächsten Tag ist er sich dessen bewusst, dass die Frau eine andere Reaktion von ihm erwartet hat. Er erzählt ihr über die Kriegserfahrungen und sagt ihr, dass er dank ihnen ein Mann und nicht mehr ein Kind ist. Im Krieg, im Kampf auf den Schlachtfeldern ist er zu einem Mann geworden. So lässt er keine Bedenken aufkommen: er ist ein Mann, der harte Erfahrungen hinter sich hat. Im Krieg hat er aufgehört, ein Kind zu sein. Damals ist die ungetrübte Zeit der Kindheit zu Ende gegangen. Weiter erinnert er sich an den Morgen, an dem er mit seinen Altersgenossen die Heimat verlassen musste, um in den Krieg zu ziehen. Er erinnert sich an den Abschied von seinen Eltern, die jetzt, nach dem Krieg wahrscheinlich tot sind. Nach der Rückkehr nach Deutschland hat niemand auf ihn gewartet. Wie schon erwähnt, haben die meisten Heimkehrer ihre Familien verloren und der Staat hat sich um sie nicht gekümmert. So kann der junge Mann nur Gott Vorwürfe machen, weil niemand ihn anhören will: dann fluchten wir in den Himmel, in den taubstummen Himmel: Und führe uns niemals in Fahnenflucht und vergib uns unsere MGs, vergib uns, aber keiner keiner war da, der uns vergab, es war keiner da (Borchert 1947: 283). Auch wenn er seine Kriegserfahrungen beschreiben möchte, kann er kein entsprechendes Vokabular finden: denn uns fehlen die Vokabeln, um nur eine Sekunde von ihm wiederzugeben, nur für eine Sekunde (Borchert 1947: 283).
Jetzt, nach dem Krieg, ist der junge Mann unterwegs. Er träumt von einer anderen Welt, von einer utopischen Welt, in der man die Dinge beim Namen nennen könnte, in der man jedes Ding so bezeichnen könnte, wie es ist, in der keine Worte fehlen würden, um die Erlebnisse, die Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Er träumt von einer Welt, in der die Heimkehrer Hilfe vom Staat bekommen würden, in der die Öffentlichkeit ihr Problem nicht ausgrenzen würde, in der die Gefühle nicht unterdrückt würden, in der man die jungen Menschen um ihr Schicksal, um ihre Zukunft nicht betrogen hätte: Und die neue Stadt, das ist die Stadt, in der die weisen Männer, die Lehrer und die Minister, nicht lügen, in der die Dichter sich von nichts anderem verführen lassen, als von der Vernunft ihres Herzens, das ist die Stadt, in der die Mütter nicht sterben und die Mädchen keine Syphilis haben, die Stadt, in der es keine Werkstätten für Prothesen und keine Rollstühle gibt, das ist die Stadt, in der der Regen R e g e n genannt wird und die Sonne S o n n e (Borchert 1947: 285).
Er träumt von einer Welt, in der der grausame Kriegsmechanismus und seine Konsequenzen die Menschen nicht in Verzweiflung treiben würden: die Stadt, in der es keine Keller gibt, in denen blaβgesichtige Kinder nachts von Ratten angefressen werden, und in der es keine Dachböden gibt, in denen sich die Väter erhängen, weil die Frauen kein Brot auf den Tisch stellen können, das ist die Stadt, in der die Jünglinge nicht blind und nicht einarmig sind und in der es keine Generäle gibt (Borchert 1947: 285). Hier spricht Borchert die unmittelbaren Konsequenzen des Kriegs an.
Es sind jedoch nur die Träume des jungen Mannes: das Ende der Geschichte sieht so wie die Ausgangssituation aus: Der Schluβ ist dann so wie alle wirklichen Schlüsse im Leben: banal, wortlos, überwältigend (Borchert 1947: 287). Der Heimkehrer steht einsam auf der Straβe, seine Seinsleere enthüllt sich, als er seinen Blick auf die graue Stadt richtet. Er empfindet den „Weltschmerz“ und auch der Gedanke daran, dass er nie wieder nach Russland muss, stellt keinen Trost dar, weil er so wie Beckmann „drauβen vor der Tür“ steht.
QUELLEN:
Primärliteratur:
BORCHERT, Wolfgang (1947): Im Mai, im Mai schrie der Kuckuck. In: Das Gesamtwerk, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Taschenbuch Verlag 2009.
2.8.11
Borcherts Kriegsheimkehrer
Mein Text:
Wolfgang Borchert als Stimme der jungen Generation in der unmittelbaren Nachkriegszeit richtete seinen Blick in erster Linie auf die Erfahrung des Krieges. Er ergriff Partei für seine ausgestoβene Generation und zog ihre Bilanz. In vielen Kurzgeschichten reflektiert er das Aufdemwegsein, das beklemmende Gefühl der Sinnlosigkeit, die schmerzliche Selbsterkenntnis orientierungsloser junger Menschen, die das schwarze Los gezogen haben, die nach dem Krieg nach Deutschland, in graue, triste Städte hungrig, geschlagen, abgerissen heimgekehrt sind, um festzustellen, dass für sie kein Platz, kein Zuhause mehr da ist. Der Anblick der zerstörten Heimat wirkt sich auf sie deprimierend aus. Sie fanden ein völlig anderes Bild der Heimat vor.
Als das Motto der Kriegsheimkehrergeschichten von Borchert könnte ein Fragment des Textes „Heimkehr“ von Franz Kafka gelten:
Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? (...) Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiβ es nicht, ich bin sehr unsicher.
Zur Heimkehr gehört mehr als das bloβe physische Zurückkehren an den Ort, von dem man aufgebrochen ist. Die Heimkehr musste unter mehreren Aspekten vollzogen werden: sozial (wenn jemand in die Gesellschaft aufgenommen wird), psychisch (wenn jemand sich emotional aufgenommen fühlt). So bekommt die Heimkehr eine seelische Komponente, die viel mehr verlangt als das rein äuβere Zurückkehren. Denn der Heimkehrer hat sich selbst verändert und auch die Situation, die er vorfindet, von den Zuhausegebliebenen verändert worden ist.
Die Heimkehrer waren in den Kriegsjahren ins Leben getreten. Sie wurden zu Opfern der Pläne der Militaristen. Der grausame, entmenschlichte Kriegsmechanismus, die Wirklichkeit des totalen Krieges hatte sie in den Kampf getrieben. Widerstandslos eilten sie auf die Schlachtfelder, um ihre gröβte Enttäuschung, um eine Lektion der bitteren, erschütternde Wahrheit zu erleben. Viele kehrten erst nach langen Jahren der Gefangenschaft heim. Das Leben verwickelte sie in eine äuβerst unsichere Lage. Die Einheit der Welt, die sie kannten, wurde restlos, rettungslos zerschlagen. Das Bild ihrer Welt veränderte sich grundlegend, kippte um. Die Zusammenschau der Dinge ging verloren. Die Situation in Deutschland war furchteinflöβend und wenig einladend. Das Deutsche Reich wurde materiell zerstört und die sozialen Strukturen wurden aufgelöst: Das Bild des Deutschlands jener Tage zeigt neben zerstörten Wohnhäusern, Mietskasernen, Geschäftshäusern, Bahnhöfen, zerstörte Schulen, Kirchen und zerstörte Theater (Tank/Jacobs 1973: 39). Mit dem Verlust des deutschen Staatswesens, der deutschen Staatlichkeit ging der Verlust der Tradition einher: Man wollte sie wiederfinden: die groβen Vorbilder und Lehrer von einst, die man getötet, verjagt, geächtet hatte (Mayer 1988: 18).
Borchert versucht, ein neues Menschenbild zu entwerfen: den thematischen Orientierungspunkt bildet die Nachkriegsrealität. Die von Borchert behandelte Thematik zeichnet sich durch ihre Aktualität aus. Dabei realisiert er die Aufgabe der jüngeren Autoren-Generation, die in der Suche nach Übereinstimmung von Menschenbild und Wirklichkeitsbild (Braem 1973: 13) besteht. In seinen Heimkehrergeschichten spricht sich die Einsicht der Vieldeutigkeit der Trümmer-Ära, des zerfetzten Bewusstseins der Heimkehrer aus. Die Bilder von Innen- und Auβenwelt der Heimkehrerfiguren überlagern sich und stellen ein ausführliches, wahrheitsgetreues Porträt des deutschen Heimkehrers dar. Es sind dem Alltag des Nachkriegsdeutschlands entnommene Figuren. Die Fragen, die Borchert stellte, besaβen Wirkkraft auf seine Altersgenossen. In diesen Heimkehrergeschichten erklingt seine Anklage deutlich und laut. Er weiβ, dass der Krieg nicht nur auf den Schlachtfeldern geführt worden ist – er hat sich auch im Bewusstsein der Menschen abgespielt. Dieses Phänomen untersucht Borchert psychologisch. Er will, dass die Gesellschaft die Leiden der Heimkehrer erkennt. Er bietet ihnen eine Entlastung an.
Borcherts Kriegsheimkehrer sind perspektivelos, identitätslos, hoffnungslos, oft vornamenlos. Er stattet sie mit allgemeinverbindlichen Zügen aus, so dass sie als das eigene Ich vieler junger Menschen gelten können. Sie sind gezwungen, einen Neuanfang zu suchen und versuchen, sich in die Welt einzuleben, wieder zu existieren. Sie wurden in eine Realität zurückgeworfen, die jeden Sinn für sie verloren hat. Ihre Heimkehr ist verdorben. Ihre Zukunft scheint nicht erfolgsträchtig zu sein, ihr Lebenshunger ist unersättlich. Sie stehen vor dem Abgrund und müssen nach einer neuen Wirklichkeit suchen. In dieser Wirklichkeit gilt es die existentielle Not zu überwinden. Die alten Vorbilder gelten nicht mehr, im Chaos gibt es nichts Verbindliches. Herrschende Wertvorstellungen sind zusammengebrochen. Der Staat, den sie kannten, war nirgends zu fassen. Sie müssen einen neuen Kampf ums Überleben anfangen, sich auf eine neue Situation einrichten, obwohl sie die Vergangenheit noch nicht bewältigt haben.
Weil die politische Macht des Dritten Reiches zerstört wurde, gab es niemanden, an den sich die Heimkehrer um Hilfe wenden konnten. Ihre Familien waren oft vermisst, die Heimatstädte waren von Grund auf zerstört. Die Einsamkeit war ihr Dauerzustand. Das Klima der Zeit war für sie unfreundlich.
Es bleibt unbestreitbar, dass die Situation der Heimkehrer von der Öffentlichkeit ausgeklammert wurde. Die zerfallene Nation wollte nichts davon wissen. Angesichts der damaligen Realität wollte man dem Problem ausweichen. Die Heimkehrer wurden als „Unruhestifter“ gesehen. Die Gesellschaft hatte keinen Platz für überzählige Heimkehrer. Niemand wies ihnen einen Weg, niemand gab ihnen eine Idee, niemand half ihnen, ihre Hoffnungen in Taten umzusetzen. Sie trafen auf kein freundliches Entgegenkommen anderer Menschen. Man wollte sie aus dem bürgerlichen Leben ausschlieβen. Andere Menschen defilierten an ihnen vorbei, ohne ihr Verständnis für sie aufzubringen. Viele Durchschnittsmenschen hatten kein Problembewusstsein. Die Einverleibung des Individuums durch die Gesellschaft erwies sich als unmöglich. Diesen Figuren ist die Einsamkeit eigen. Die Wirklichkeit stimmte also nicht optimistisch. Oft als halbe Kinder wurden die Heimkehrer in den Krieg geschickt, um ins zerstörte Land mit leeren Händen heimzukehren. Borchert besingt ihre Einordnungsschwierigkeiten. Ihre soziale Heimkehr musste scheitern. Ihnen bleibt jede Chance auf die psychische Heimkehr verwehrt.
Horst Krüger schildert 1945 treffend die Lage der Heimkehrer:
Auf allen Bahnhöfen stehen sie herum, die Hoffnungslosen. Sie sind jung und tragen noch die Uniformen von gestern. Sie sind aus der Gefangenschaft zurückgekommen und haben ihre Heimat nicht wiedergefunden. Mit dem Ende des Krieges haben sie ihren Glauben verloren. Nun sind sie illusionslos und stecken doch voller Illusionen. Sie sind erschreckend nüchtern und sind doch keine Realisten. Sie sind zu allem fähig und beweisen dadurch täglich ihre Befähigung zum Leben. (...) Nun warten sie auf den Weg, der zurück ins Leben führt.
Wolfgang Borchert hat in seinen Kurzgeschichten den Bilanz-Versuch der Lage der Heimkehrer unternommen. In seinen Kurzgeschichten von lakonischer Kürze, von einfacher, völlig unpathetischer Sprache bringt er mit Mitgefühl, mit Anteilnahme, mit Einfühlungsvermögen den Aufbruchswillen, den fast unglaublichen Hunger nach einem Neubeginn, den Aufschrei seiner Generation zum Ausdruck – der Generation der Heimkehrer, die um ihre Ideale betrogen worden ist. In seinen Kurzgeschichten (und vor allem im Stück „Drauβen vor der Tür“) unterdrückt er die wahren Sachverhalte nicht. Er besingt die Hoffnungslosigkeit der jungen Menschen, anerkennt ihre Ratlosigkeit und Lethargie, ihre Bewusstseinsspaltung, ihre zerrissene Natur. So gewährte er einen völlig neuen Einblick auf seine Generation. Er sagte in stellvertretender Weise, woran so viele junge Menschen litten, sprach ihre Gedanken laut aus und legte den Kern des Problems. Er fand Worte, um davon zu sprechen. Borchert richtete seine Prosa an einen bestimmten Leserkreis: an junge Menschen, die ihre ersten Erfahrungen auf den Schlachtfeldern gesammelt hatten. Er reagierte auf die Unmöglichkeit ihrer Readaptation und auf ihre Unfähigkeit zur Readaptation. Er erörtert das Problem nüchtern und direkt. So wurde Borchert zur Symbolfigur seiner Generation, zumal eine Analogie von überlieferter Biographie und Dichtung bemerkbar ist. Im Namen seiner Generation wollte er eine Abrechnung mit dem Krieg vorziehen. In seinen Heimkehrergeschichten hält er absichtsvoll den Raum knapp – ein Hauch von Handlung genügt, um den Leser zu rühren.
Wolfgang Borchert hat den Krieg als Grenadier in der russischen Steppe erlebt. Sein Werk ist aus dem wahren Leben geboren. So hatte er eine innere Verbindung zum Kriegsphänomen. Es war für ihn ein sehr intensives Erlebnis, das seine Lebensperspektive um neue Erfahrungen und Beobachtungen bereichert hatte. Den Sprachduktus für die Erlebnisse seiner Generation fand er also im eigenen Heimkehrerschicksal. Es muss jedoch kursorisch erwähnt werden, dass Wolfgang Borchert selber ganz anders aufgenommen wurde als seine Heimkehrer: seine Mutter holte ihn ab, anschlieβend fand er Arbeit im Theater und seinen Freundeskreis.
Ein „typischer“ Heimkehrer ist hilflos, er verfällt in Verzweiflung, er sehnt sich nach einer geordneten und sicheren Existenz. Seine Handlungen sind oft destruktiv. Borchert stellt in vereinzelten Episoden typisierte Situationen der Heimkehrer dar, deren Ende oft vage bleibt. Sie werden als verstörende Eindringlinge gesehen. Nirgends werden sie aufgenommen. Sie werden total desillusioniert. Borchert problematisiert die Lage der Heimkehrer in ihrem Verhältnis zur Vergangenheit. Sie erscheinen oft als groteske Eindringlinge, die ihre Unfähigkeit zum Weiterleben nicht verdrängen können. Sie verlangen nach Kontinuität – niemand zeigt sich jedoch bereit, ihnen zu helfen, die Erlebnisse der letzten Jahre zu bewältigen. Ihre Vorstellungen, Erwartungen sind an die Vorkriegszeit angeknüpft. Sie haben das Kriegstrauma – sie können an einen Neubeginn nicht denken, weil sie zuerst den Krieg im Kopf beendigen müssen, weil die eigene Vergangenheit unvollendet ist. Sie können mit der Vergangenheit nicht endgültig abbrechen. Dieser Aufgabe können sie nicht nachkommen. Trotzdem unternehmen sie einen aktiven Versuch, sich eine Lebensperspektive zu etablieren. Sie wandern, sie suchen die Wahrheit.
In der neuen Gesellschaft können sie nicht Fuβ fassen. Sie können sich in der neuen Ordnung, Gesellschaft nicht zurechtfinden. Sie sind für die Gesellschaft nicht mehr nützlich. Niemand bringt sie zu neuem Lebenswillen. Sie kämpfen um ihre Existenz. Sie versuchen ihre Ruhe wiederzugewinnen, das Gewissen reinzumachen. Auch ins Familienhaus können sie sich nicht begeben. Es gibt niemanden, dem sie die Verantwortung für den Krieg zurückgeben können.
Im guten Glauben haben sie einer schlechten Sache gedient. Sie sind betrogen worden. Die Visionen der Kriegsereignisse durchdringen ihr Bewusstsein und bedrücken ihr Gewissen. Die Schuldfrage ist die Frage der Existenz – sie sind mit Schuld beladen. Der eigenen Schuld, der Verantwortung können sie sich nicht entziehen. Sie sind am eigenen Schicksal mitschuldig, weil sie am Krieg widerstandslos teilgenommen haben. Sie wussten, dass es ihre Pflicht ist, in den Krieg zu ziehen. Es war keine freiwillige Entscheidung. Als Heimkehrer müssen sie für diese Schuld buβen. Niemand kann ihnen das Schuldgefühl nehmen. Sie müssen damit selbst fertig werden. Um den Weg zur Readaptation finden, müssen sie das Schuldgefühl überwinden. Der Schuldkomplex macht ihr Leben unmöglich. Um den inneren Konflikt zu überwinden, versuchen sie, die Schuld von sich abzuweisen. Die Schuld ist ein wichtiger Faktor für die Krise des Heimkehrers.
Mit sich selbst können sie nicht zurechtkommen. Auch von anderen werden sie nicht verstanden. Die Tragik ihrer Existenz liegt im Ausgeschlossensein. Ihr Grundgefühl ist unglücklich. Sie sind unfähig, Kompromisse zu schlieβen. Es gibt keine Hoffnung, die sie erneut erfüllen könnte. Immer wieder müssen sie Enttäuschungen erleben. Sie bedrückt die Erkenntnis, dass ihre Fragen vergeblich sind. Die Antworten müssen sie selbst finden. Die Last der Vergeblichkeit der Fragen erdrückt sie.
In vielen Kriegsheimkehrergeschichten ertönt die Spieβer-Kritik. Borcherts Geschichten enthalten eine sozialkritische Dimension: es handelt sich um die Konfliktsituation „Heimkehrer – Gesellschaft“. Ins Auge fällt, dass die Spieβer den Krieg glücklich überstanden haben. Ihe Bezugspunkt ist die Vorkriegszeit. Sie haben kein Verständnis für die Heimkehrer. Man verlangt von ihnen, dass sie den Krieg „rational“ verdrängen und weiterleben. Man sagt, der Krieg habe ihren Verstand verwirrt. Die Rückkehr in die bürgerliche Lebenswelt erweist sich für die Heimkehrer als unmöglich, weil ihre existentiellen Ansprüche verharmlost werden. Gutgelaunt, erfolgreich zeigen die Spieβer ihre unbewusste Positivität. Die dunkle Kriegszeit wird von ihnen negiert. Sie haben sich inzwischen gut eingerichtet und sind in alltägliches Leben verwickelt. Man verlangt von den Heimkehrern, dass sie weiterleben, ohne auf die Vergangenheit Rücksicht zu nehmen. Heimkehrer sind für sie Gespenster aus dem längst schon beendeten Kriege, Überbleibsel der Vergangenheit. Die Heimkehrer schauen die Gegenwart mit den Augen der Vergangenheit an, sie sehen alles verschwommen. In Augen der kritisierten Spieβer hat alles, was mit dem Krieg verbunden war, die Gültigkeit verloren. Die Gesellschaft erwartet von den Heimkehrern, dass sie ihre Auffassung von Schuld überprüfen und möglicherweise ändern. So können sie sich mit der Gesellschaft nicht mehr verständigen. Die Gesellschaft fühlt sich von jeder Verantwortung entlastet. Die Gesellschaft will sich der Verantwortung entziehen. Niemand bekennt sich zur Schuld. Ihre Klagen werden von den Menschen nicht wahrgenommen. Sie wollen wenigstens aufmerksam gehört werden. Die Gesellschaft überhört Vorwürfe. Die Heimkehrer setzen sich mit der Gesellschaftsordnung auseinander.
Quellen:
BRAEM, Helmut M. (1973): 1945-1955. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur aus Methoden. Westdeutsche Literatur von 1945-71. Band I. Athenäum Verlag: Frankfurt am Main.
KRÜGER, HORST: Ort meiner Niederlagen. In: Städte 1945, Berichte und Bekenntnisse. Hrsg. Ingeborg Drewitz, Köln/Düsseldorf (Diederichs) 1970.
MAYER, Hans (1988): Die umerzogene Literatur. Deutsche Schriftsteller und Bücher 1945-1967. Siedler Verlag: Berlin.
TANK, Kurt Lothar / JACOBS, Wilhelm (1973): Zwischen den Trümmern. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur aus Methoden. Westdeutsche Literatur von 1945-71. Band I. Athenäum Verlag: Frankfurt am Main.
Wolfgang Borchert als Stimme der jungen Generation in der unmittelbaren Nachkriegszeit richtete seinen Blick in erster Linie auf die Erfahrung des Krieges. Er ergriff Partei für seine ausgestoβene Generation und zog ihre Bilanz. In vielen Kurzgeschichten reflektiert er das Aufdemwegsein, das beklemmende Gefühl der Sinnlosigkeit, die schmerzliche Selbsterkenntnis orientierungsloser junger Menschen, die das schwarze Los gezogen haben, die nach dem Krieg nach Deutschland, in graue, triste Städte hungrig, geschlagen, abgerissen heimgekehrt sind, um festzustellen, dass für sie kein Platz, kein Zuhause mehr da ist. Der Anblick der zerstörten Heimat wirkt sich auf sie deprimierend aus. Sie fanden ein völlig anderes Bild der Heimat vor.
Als das Motto der Kriegsheimkehrergeschichten von Borchert könnte ein Fragment des Textes „Heimkehr“ von Franz Kafka gelten:
Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? (...) Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiβ es nicht, ich bin sehr unsicher.
Zur Heimkehr gehört mehr als das bloβe physische Zurückkehren an den Ort, von dem man aufgebrochen ist. Die Heimkehr musste unter mehreren Aspekten vollzogen werden: sozial (wenn jemand in die Gesellschaft aufgenommen wird), psychisch (wenn jemand sich emotional aufgenommen fühlt). So bekommt die Heimkehr eine seelische Komponente, die viel mehr verlangt als das rein äuβere Zurückkehren. Denn der Heimkehrer hat sich selbst verändert und auch die Situation, die er vorfindet, von den Zuhausegebliebenen verändert worden ist.
Die Heimkehrer waren in den Kriegsjahren ins Leben getreten. Sie wurden zu Opfern der Pläne der Militaristen. Der grausame, entmenschlichte Kriegsmechanismus, die Wirklichkeit des totalen Krieges hatte sie in den Kampf getrieben. Widerstandslos eilten sie auf die Schlachtfelder, um ihre gröβte Enttäuschung, um eine Lektion der bitteren, erschütternde Wahrheit zu erleben. Viele kehrten erst nach langen Jahren der Gefangenschaft heim. Das Leben verwickelte sie in eine äuβerst unsichere Lage. Die Einheit der Welt, die sie kannten, wurde restlos, rettungslos zerschlagen. Das Bild ihrer Welt veränderte sich grundlegend, kippte um. Die Zusammenschau der Dinge ging verloren. Die Situation in Deutschland war furchteinflöβend und wenig einladend. Das Deutsche Reich wurde materiell zerstört und die sozialen Strukturen wurden aufgelöst: Das Bild des Deutschlands jener Tage zeigt neben zerstörten Wohnhäusern, Mietskasernen, Geschäftshäusern, Bahnhöfen, zerstörte Schulen, Kirchen und zerstörte Theater (Tank/Jacobs 1973: 39). Mit dem Verlust des deutschen Staatswesens, der deutschen Staatlichkeit ging der Verlust der Tradition einher: Man wollte sie wiederfinden: die groβen Vorbilder und Lehrer von einst, die man getötet, verjagt, geächtet hatte (Mayer 1988: 18).
Borchert versucht, ein neues Menschenbild zu entwerfen: den thematischen Orientierungspunkt bildet die Nachkriegsrealität. Die von Borchert behandelte Thematik zeichnet sich durch ihre Aktualität aus. Dabei realisiert er die Aufgabe der jüngeren Autoren-Generation, die in der Suche nach Übereinstimmung von Menschenbild und Wirklichkeitsbild (Braem 1973: 13) besteht. In seinen Heimkehrergeschichten spricht sich die Einsicht der Vieldeutigkeit der Trümmer-Ära, des zerfetzten Bewusstseins der Heimkehrer aus. Die Bilder von Innen- und Auβenwelt der Heimkehrerfiguren überlagern sich und stellen ein ausführliches, wahrheitsgetreues Porträt des deutschen Heimkehrers dar. Es sind dem Alltag des Nachkriegsdeutschlands entnommene Figuren. Die Fragen, die Borchert stellte, besaβen Wirkkraft auf seine Altersgenossen. In diesen Heimkehrergeschichten erklingt seine Anklage deutlich und laut. Er weiβ, dass der Krieg nicht nur auf den Schlachtfeldern geführt worden ist – er hat sich auch im Bewusstsein der Menschen abgespielt. Dieses Phänomen untersucht Borchert psychologisch. Er will, dass die Gesellschaft die Leiden der Heimkehrer erkennt. Er bietet ihnen eine Entlastung an.
Borcherts Kriegsheimkehrer sind perspektivelos, identitätslos, hoffnungslos, oft vornamenlos. Er stattet sie mit allgemeinverbindlichen Zügen aus, so dass sie als das eigene Ich vieler junger Menschen gelten können. Sie sind gezwungen, einen Neuanfang zu suchen und versuchen, sich in die Welt einzuleben, wieder zu existieren. Sie wurden in eine Realität zurückgeworfen, die jeden Sinn für sie verloren hat. Ihre Heimkehr ist verdorben. Ihre Zukunft scheint nicht erfolgsträchtig zu sein, ihr Lebenshunger ist unersättlich. Sie stehen vor dem Abgrund und müssen nach einer neuen Wirklichkeit suchen. In dieser Wirklichkeit gilt es die existentielle Not zu überwinden. Die alten Vorbilder gelten nicht mehr, im Chaos gibt es nichts Verbindliches. Herrschende Wertvorstellungen sind zusammengebrochen. Der Staat, den sie kannten, war nirgends zu fassen. Sie müssen einen neuen Kampf ums Überleben anfangen, sich auf eine neue Situation einrichten, obwohl sie die Vergangenheit noch nicht bewältigt haben.
Weil die politische Macht des Dritten Reiches zerstört wurde, gab es niemanden, an den sich die Heimkehrer um Hilfe wenden konnten. Ihre Familien waren oft vermisst, die Heimatstädte waren von Grund auf zerstört. Die Einsamkeit war ihr Dauerzustand. Das Klima der Zeit war für sie unfreundlich.
Es bleibt unbestreitbar, dass die Situation der Heimkehrer von der Öffentlichkeit ausgeklammert wurde. Die zerfallene Nation wollte nichts davon wissen. Angesichts der damaligen Realität wollte man dem Problem ausweichen. Die Heimkehrer wurden als „Unruhestifter“ gesehen. Die Gesellschaft hatte keinen Platz für überzählige Heimkehrer. Niemand wies ihnen einen Weg, niemand gab ihnen eine Idee, niemand half ihnen, ihre Hoffnungen in Taten umzusetzen. Sie trafen auf kein freundliches Entgegenkommen anderer Menschen. Man wollte sie aus dem bürgerlichen Leben ausschlieβen. Andere Menschen defilierten an ihnen vorbei, ohne ihr Verständnis für sie aufzubringen. Viele Durchschnittsmenschen hatten kein Problembewusstsein. Die Einverleibung des Individuums durch die Gesellschaft erwies sich als unmöglich. Diesen Figuren ist die Einsamkeit eigen. Die Wirklichkeit stimmte also nicht optimistisch. Oft als halbe Kinder wurden die Heimkehrer in den Krieg geschickt, um ins zerstörte Land mit leeren Händen heimzukehren. Borchert besingt ihre Einordnungsschwierigkeiten. Ihre soziale Heimkehr musste scheitern. Ihnen bleibt jede Chance auf die psychische Heimkehr verwehrt.
Horst Krüger schildert 1945 treffend die Lage der Heimkehrer:
Auf allen Bahnhöfen stehen sie herum, die Hoffnungslosen. Sie sind jung und tragen noch die Uniformen von gestern. Sie sind aus der Gefangenschaft zurückgekommen und haben ihre Heimat nicht wiedergefunden. Mit dem Ende des Krieges haben sie ihren Glauben verloren. Nun sind sie illusionslos und stecken doch voller Illusionen. Sie sind erschreckend nüchtern und sind doch keine Realisten. Sie sind zu allem fähig und beweisen dadurch täglich ihre Befähigung zum Leben. (...) Nun warten sie auf den Weg, der zurück ins Leben führt.
Wolfgang Borchert hat in seinen Kurzgeschichten den Bilanz-Versuch der Lage der Heimkehrer unternommen. In seinen Kurzgeschichten von lakonischer Kürze, von einfacher, völlig unpathetischer Sprache bringt er mit Mitgefühl, mit Anteilnahme, mit Einfühlungsvermögen den Aufbruchswillen, den fast unglaublichen Hunger nach einem Neubeginn, den Aufschrei seiner Generation zum Ausdruck – der Generation der Heimkehrer, die um ihre Ideale betrogen worden ist. In seinen Kurzgeschichten (und vor allem im Stück „Drauβen vor der Tür“) unterdrückt er die wahren Sachverhalte nicht. Er besingt die Hoffnungslosigkeit der jungen Menschen, anerkennt ihre Ratlosigkeit und Lethargie, ihre Bewusstseinsspaltung, ihre zerrissene Natur. So gewährte er einen völlig neuen Einblick auf seine Generation. Er sagte in stellvertretender Weise, woran so viele junge Menschen litten, sprach ihre Gedanken laut aus und legte den Kern des Problems. Er fand Worte, um davon zu sprechen. Borchert richtete seine Prosa an einen bestimmten Leserkreis: an junge Menschen, die ihre ersten Erfahrungen auf den Schlachtfeldern gesammelt hatten. Er reagierte auf die Unmöglichkeit ihrer Readaptation und auf ihre Unfähigkeit zur Readaptation. Er erörtert das Problem nüchtern und direkt. So wurde Borchert zur Symbolfigur seiner Generation, zumal eine Analogie von überlieferter Biographie und Dichtung bemerkbar ist. Im Namen seiner Generation wollte er eine Abrechnung mit dem Krieg vorziehen. In seinen Heimkehrergeschichten hält er absichtsvoll den Raum knapp – ein Hauch von Handlung genügt, um den Leser zu rühren.
Wolfgang Borchert hat den Krieg als Grenadier in der russischen Steppe erlebt. Sein Werk ist aus dem wahren Leben geboren. So hatte er eine innere Verbindung zum Kriegsphänomen. Es war für ihn ein sehr intensives Erlebnis, das seine Lebensperspektive um neue Erfahrungen und Beobachtungen bereichert hatte. Den Sprachduktus für die Erlebnisse seiner Generation fand er also im eigenen Heimkehrerschicksal. Es muss jedoch kursorisch erwähnt werden, dass Wolfgang Borchert selber ganz anders aufgenommen wurde als seine Heimkehrer: seine Mutter holte ihn ab, anschlieβend fand er Arbeit im Theater und seinen Freundeskreis.
Ein „typischer“ Heimkehrer ist hilflos, er verfällt in Verzweiflung, er sehnt sich nach einer geordneten und sicheren Existenz. Seine Handlungen sind oft destruktiv. Borchert stellt in vereinzelten Episoden typisierte Situationen der Heimkehrer dar, deren Ende oft vage bleibt. Sie werden als verstörende Eindringlinge gesehen. Nirgends werden sie aufgenommen. Sie werden total desillusioniert. Borchert problematisiert die Lage der Heimkehrer in ihrem Verhältnis zur Vergangenheit. Sie erscheinen oft als groteske Eindringlinge, die ihre Unfähigkeit zum Weiterleben nicht verdrängen können. Sie verlangen nach Kontinuität – niemand zeigt sich jedoch bereit, ihnen zu helfen, die Erlebnisse der letzten Jahre zu bewältigen. Ihre Vorstellungen, Erwartungen sind an die Vorkriegszeit angeknüpft. Sie haben das Kriegstrauma – sie können an einen Neubeginn nicht denken, weil sie zuerst den Krieg im Kopf beendigen müssen, weil die eigene Vergangenheit unvollendet ist. Sie können mit der Vergangenheit nicht endgültig abbrechen. Dieser Aufgabe können sie nicht nachkommen. Trotzdem unternehmen sie einen aktiven Versuch, sich eine Lebensperspektive zu etablieren. Sie wandern, sie suchen die Wahrheit.
In der neuen Gesellschaft können sie nicht Fuβ fassen. Sie können sich in der neuen Ordnung, Gesellschaft nicht zurechtfinden. Sie sind für die Gesellschaft nicht mehr nützlich. Niemand bringt sie zu neuem Lebenswillen. Sie kämpfen um ihre Existenz. Sie versuchen ihre Ruhe wiederzugewinnen, das Gewissen reinzumachen. Auch ins Familienhaus können sie sich nicht begeben. Es gibt niemanden, dem sie die Verantwortung für den Krieg zurückgeben können.
Im guten Glauben haben sie einer schlechten Sache gedient. Sie sind betrogen worden. Die Visionen der Kriegsereignisse durchdringen ihr Bewusstsein und bedrücken ihr Gewissen. Die Schuldfrage ist die Frage der Existenz – sie sind mit Schuld beladen. Der eigenen Schuld, der Verantwortung können sie sich nicht entziehen. Sie sind am eigenen Schicksal mitschuldig, weil sie am Krieg widerstandslos teilgenommen haben. Sie wussten, dass es ihre Pflicht ist, in den Krieg zu ziehen. Es war keine freiwillige Entscheidung. Als Heimkehrer müssen sie für diese Schuld buβen. Niemand kann ihnen das Schuldgefühl nehmen. Sie müssen damit selbst fertig werden. Um den Weg zur Readaptation finden, müssen sie das Schuldgefühl überwinden. Der Schuldkomplex macht ihr Leben unmöglich. Um den inneren Konflikt zu überwinden, versuchen sie, die Schuld von sich abzuweisen. Die Schuld ist ein wichtiger Faktor für die Krise des Heimkehrers.
Mit sich selbst können sie nicht zurechtkommen. Auch von anderen werden sie nicht verstanden. Die Tragik ihrer Existenz liegt im Ausgeschlossensein. Ihr Grundgefühl ist unglücklich. Sie sind unfähig, Kompromisse zu schlieβen. Es gibt keine Hoffnung, die sie erneut erfüllen könnte. Immer wieder müssen sie Enttäuschungen erleben. Sie bedrückt die Erkenntnis, dass ihre Fragen vergeblich sind. Die Antworten müssen sie selbst finden. Die Last der Vergeblichkeit der Fragen erdrückt sie.
In vielen Kriegsheimkehrergeschichten ertönt die Spieβer-Kritik. Borcherts Geschichten enthalten eine sozialkritische Dimension: es handelt sich um die Konfliktsituation „Heimkehrer – Gesellschaft“. Ins Auge fällt, dass die Spieβer den Krieg glücklich überstanden haben. Ihe Bezugspunkt ist die Vorkriegszeit. Sie haben kein Verständnis für die Heimkehrer. Man verlangt von ihnen, dass sie den Krieg „rational“ verdrängen und weiterleben. Man sagt, der Krieg habe ihren Verstand verwirrt. Die Rückkehr in die bürgerliche Lebenswelt erweist sich für die Heimkehrer als unmöglich, weil ihre existentiellen Ansprüche verharmlost werden. Gutgelaunt, erfolgreich zeigen die Spieβer ihre unbewusste Positivität. Die dunkle Kriegszeit wird von ihnen negiert. Sie haben sich inzwischen gut eingerichtet und sind in alltägliches Leben verwickelt. Man verlangt von den Heimkehrern, dass sie weiterleben, ohne auf die Vergangenheit Rücksicht zu nehmen. Heimkehrer sind für sie Gespenster aus dem längst schon beendeten Kriege, Überbleibsel der Vergangenheit. Die Heimkehrer schauen die Gegenwart mit den Augen der Vergangenheit an, sie sehen alles verschwommen. In Augen der kritisierten Spieβer hat alles, was mit dem Krieg verbunden war, die Gültigkeit verloren. Die Gesellschaft erwartet von den Heimkehrern, dass sie ihre Auffassung von Schuld überprüfen und möglicherweise ändern. So können sie sich mit der Gesellschaft nicht mehr verständigen. Die Gesellschaft fühlt sich von jeder Verantwortung entlastet. Die Gesellschaft will sich der Verantwortung entziehen. Niemand bekennt sich zur Schuld. Ihre Klagen werden von den Menschen nicht wahrgenommen. Sie wollen wenigstens aufmerksam gehört werden. Die Gesellschaft überhört Vorwürfe. Die Heimkehrer setzen sich mit der Gesellschaftsordnung auseinander.
Quellen:
BRAEM, Helmut M. (1973): 1945-1955. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur aus Methoden. Westdeutsche Literatur von 1945-71. Band I. Athenäum Verlag: Frankfurt am Main.
KRÜGER, HORST: Ort meiner Niederlagen. In: Städte 1945, Berichte und Bekenntnisse. Hrsg. Ingeborg Drewitz, Köln/Düsseldorf (Diederichs) 1970.
MAYER, Hans (1988): Die umerzogene Literatur. Deutsche Schriftsteller und Bücher 1945-1967. Siedler Verlag: Berlin.
TANK, Kurt Lothar / JACOBS, Wilhelm (1973): Zwischen den Trümmern. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur aus Methoden. Westdeutsche Literatur von 1945-71. Band I. Athenäum Verlag: Frankfurt am Main.
1.8.11
Wolfgang Borchert (1921-1947)
Wolfgang Borchert wurde als einziger Sohn des Volksschullehrers Fritz und der Schriftstellerin Hertha Borchert 1921 in Hamburg geboren. Er ist in gesicherten bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen. Borchert übernahm die Glaubenslosigkeit seines Vaters. Er war ein mittelmäβiger Schüler, verlieβ die Schule ohne Abiturabschluss. Seine Eltern haben ihn dazu überzeugt, sich als Buchhändler ausbilden zu lassen. Die Kindheit und die Jugend waren das Paradies, an das sich der gefangene und später todkranke Schriftsteller erinnerte.
(www.aref.de)
Wegen Kritik am Nationalsozialismus wurde er verurteilt und inhaftiert. Er lernte den Krieg an der Front kennen. Im Krieg zog er sich Erkrankungen und eine Leberschädigung zu.
Der lebenshungrige Schriftsteller rafft sich auf, um aus seinem schwebenden Zustand herauszukommen. Vergeblich, weil es keine Wunderwaffe gegen die Krankheit gibt. Er hatte keine Möglichkeit, das Leben in vollen Zügen zu genieβen. Das Schreiben war für ihn die einzige mögliche Aktivität. Sein Eifer beim Schreiben war enorm. Borchert betrachtete es als eine Übergangslösung, er wollte bis zum Gesundwerden überhaupt etwas tun. Er stand schlieβlich im Zenit seines Lebens und dachte nichts ans Ende. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, aktiv zu sein. Von den Zuständen mangelnder Motivation zum Schreiben war bei ihm nichts zu spüren. Bei dem Gedanken, nichts zu tun, packte ihn Widerwille. Obwohl das Leben ihn in diese schwierige Lage verwickelte, wollte er sich seinem hoffnungslosen Zustand nicht einfügen.
Wolfgang Borchert starb am 20. November 1947.
Sein ganzes Lebenswerk wurde vom Rowohlt Taschenbuch Verlag (natürlich mehrmals) in einem Band herausgegeben.
(www.amazon.de)
Wenn ich Borchert lese, muss ich immer an Georg Büchner denken.
Borcherts bekanntestes Werk ist das Heimkehrerdrama "Draußen vor der Tür".
Es ist eine Geschichte eines jungen Mannes, der nach dem beendeten Krieg nach Hause kommt (oder aber nach Hause kommen will). Es gibt aber kein Zuhause für ihn. Auch seine Zeitgenossen trafen auf die gleiche Gleichgütigkeit. Der Nordwestdeutsche Rundfunk hat das Stück als Hörspiel am 13. Februar 1947 gesendet. Es hatte eine enorme Resonanz. Borchert erhielt unzählige Briefe. Die Leser und Zuhörer eines Hörspiels haben Borchert in ihren Briefen gedankt – weil er der erste Schriftsteller in der unmittelbaren Nachkriegszeit war, der die Gesellschaft auf diese Problematik aufmerksam machte. Nach der erwähnten Sendung wurde der noch nicht 26-jährige Borchert zum gefragten und umworbenen Autor. Er hat einen neuen Ton angeschlagen und deutlich das Gefühl seiner Generation zum Ausdruck gebracht. Er war der erste, der die Fragen existentiell und radikal stellte, während viele die Nazizeit verdrängen und verschweigen wollten. Er sprach das Publikum direkt an.
Der Protagonist – Beckmann - ist ein Eindringling. Es ist ein Mann ohne Gesicht und ohne Identität. Er steht repräsentativ für seine Generation. Er hat Einordnungsschwierigkeiten und muss scheitern. In die bürgerliche Alltagswelt kann er nicht mehr zurückkommen. Seine Heimkehr ist verdorben. Niemand bemerkt seine Existenznot. Grausame Träume quälen ihn.
Die Tür symbolisiert im Stück die Hoffnung und die Hoffnungslosigkeit, die Geborgenheit und das Ausgeschlossensein.
Ausgewählte Fragmente des Stücks:
Ein Mann [Beckmann] kommt nach Deutschland. Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging. Äußerlich ist er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel (und abends manchmal auch die Menschen) zu erschrecken. Innerlich – auch.
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GOTT: Sie erschießen sich. Sie hängen sich auf. Sie ersaufen sich. Sie ermorden sich, heute hundert, morgen hunderttausend. Und ich, ich kann es nicht ändern.
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GOTT: Du bist der neue Gott, Tod, aber du bist fett geworden.
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TOD: Na ja, ich hab in diesem Jahrhundert ein bißchen Fett angesetzt. Das Geschäft ging gut. Ein Krieg gibt dem andern die Hand. Wie die Fliegen! Wie die Fliegen kleben die Toten an den Wänden dieses Jahrhunderts.
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BECKMANN: Ich war nämlich drei Jahre lang weg. In Rußland. Und gestern kam ich wieder nach Hause. Das war das Unglück. Drei Jahre sind viel, weißt du. Beckmann – sagte meine Frau zu mir. Einfach Beckmann. Und dabei war man drei Jahre weg. Beckmann sagte sie, wie man zu einem Tisch Tisch sagt. Möbelstück weg. Stell es weg.
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MÄDCHEN [zu Beckmann]: Du siehst so wunderbar traurig aus, du armes graues Gespenst: in der weiten Jacke, mit dem Haar und dem steifen Bein.
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BECKMANN: Das habe ich gestern nacht auch den Mann gefragt, der bei meiner Frau war. In meinem Hemd war. In meinem Bett.
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OBERST [der ehemalige Vorgesetzte Beckmanns]: Lieber junger Freund, Sie stellen die ganze Sache doch wohl reichlich verzerrt dar. Wir sind doch Deutsche. Wir wollen doch lieber bei unserer guten deutschen Wahrheit bleiben.
(…)
Ich habe aber doch stark den Eindruck, daß Sie einer von denen sind, denen das bißchen Krieg die Begriffe und den Verstand verwirrt hat.
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BECKMANN: Und wo soll ich anfangen? Wo denn? Einmal muß man doch irgendwo eine Chance bekommen. Irgendwo muß man doch irgendwo eine Chance bekommen. Irgendwo muß doch ein Anfänger mal anfangen.
(…) Wo sollen wir denn anfangen? Wo denn? Wir wollen doch endlich einmal anfangen!
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BECKMANN: Mit der Wahrheit ist das wie mit einer stadtbekannten Hure. Jeder kennt sie, aber es ist peinlich, wenn man ihr auf der Straße begegnet.
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BECKMANN: Ich bin nur ein schlechter Witz, den der Krieg gemacht hat, ein Gespenst von gestern. Und weil ich nur Beckmann bin und nicht Mozart, deswegen sind alle Türen zu. Bums. Deswegen stehe ich draußen. (…) Und weil ich ein Anfänger bin, deswegen kann ich nirgendwo anfangen. (…) Die Straße stinkt nach Blut, weil man die Wahrheit massakriert hat, und alle Türen sind zu. Ich will nach Hause, aber alle Straße sind finster.
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BECKMANN: Das Leben ist so:
1. Akt: Grauer Himmel. Es wird einem wehgetan.
2. Akt: Grauer Himmel. Man tut wieder weh.
3. Akt: Es wird dunkel und es regnet.
4. Akt: Es ist noch dunkler. Man sieht eine Tür.
5. Akt: Es ist Nacht. Tiefe Nacht. Und die Tür ist zu. Man steht draußen. Draußen vor der Tür.
(www.aref.de)
Wegen Kritik am Nationalsozialismus wurde er verurteilt und inhaftiert. Er lernte den Krieg an der Front kennen. Im Krieg zog er sich Erkrankungen und eine Leberschädigung zu.
Der lebenshungrige Schriftsteller rafft sich auf, um aus seinem schwebenden Zustand herauszukommen. Vergeblich, weil es keine Wunderwaffe gegen die Krankheit gibt. Er hatte keine Möglichkeit, das Leben in vollen Zügen zu genieβen. Das Schreiben war für ihn die einzige mögliche Aktivität. Sein Eifer beim Schreiben war enorm. Borchert betrachtete es als eine Übergangslösung, er wollte bis zum Gesundwerden überhaupt etwas tun. Er stand schlieβlich im Zenit seines Lebens und dachte nichts ans Ende. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, aktiv zu sein. Von den Zuständen mangelnder Motivation zum Schreiben war bei ihm nichts zu spüren. Bei dem Gedanken, nichts zu tun, packte ihn Widerwille. Obwohl das Leben ihn in diese schwierige Lage verwickelte, wollte er sich seinem hoffnungslosen Zustand nicht einfügen.
Wolfgang Borchert starb am 20. November 1947.
Sein ganzes Lebenswerk wurde vom Rowohlt Taschenbuch Verlag (natürlich mehrmals) in einem Band herausgegeben.
(www.amazon.de)
Wenn ich Borchert lese, muss ich immer an Georg Büchner denken.
Borcherts bekanntestes Werk ist das Heimkehrerdrama "Draußen vor der Tür".
Es ist eine Geschichte eines jungen Mannes, der nach dem beendeten Krieg nach Hause kommt (oder aber nach Hause kommen will). Es gibt aber kein Zuhause für ihn. Auch seine Zeitgenossen trafen auf die gleiche Gleichgütigkeit. Der Nordwestdeutsche Rundfunk hat das Stück als Hörspiel am 13. Februar 1947 gesendet. Es hatte eine enorme Resonanz. Borchert erhielt unzählige Briefe. Die Leser und Zuhörer eines Hörspiels haben Borchert in ihren Briefen gedankt – weil er der erste Schriftsteller in der unmittelbaren Nachkriegszeit war, der die Gesellschaft auf diese Problematik aufmerksam machte. Nach der erwähnten Sendung wurde der noch nicht 26-jährige Borchert zum gefragten und umworbenen Autor. Er hat einen neuen Ton angeschlagen und deutlich das Gefühl seiner Generation zum Ausdruck gebracht. Er war der erste, der die Fragen existentiell und radikal stellte, während viele die Nazizeit verdrängen und verschweigen wollten. Er sprach das Publikum direkt an.
Der Protagonist – Beckmann - ist ein Eindringling. Es ist ein Mann ohne Gesicht und ohne Identität. Er steht repräsentativ für seine Generation. Er hat Einordnungsschwierigkeiten und muss scheitern. In die bürgerliche Alltagswelt kann er nicht mehr zurückkommen. Seine Heimkehr ist verdorben. Niemand bemerkt seine Existenznot. Grausame Träume quälen ihn.
Die Tür symbolisiert im Stück die Hoffnung und die Hoffnungslosigkeit, die Geborgenheit und das Ausgeschlossensein.
Ausgewählte Fragmente des Stücks:
Ein Mann [Beckmann] kommt nach Deutschland. Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging. Äußerlich ist er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel (und abends manchmal auch die Menschen) zu erschrecken. Innerlich – auch.
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GOTT: Sie erschießen sich. Sie hängen sich auf. Sie ersaufen sich. Sie ermorden sich, heute hundert, morgen hunderttausend. Und ich, ich kann es nicht ändern.
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GOTT: Du bist der neue Gott, Tod, aber du bist fett geworden.
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TOD: Na ja, ich hab in diesem Jahrhundert ein bißchen Fett angesetzt. Das Geschäft ging gut. Ein Krieg gibt dem andern die Hand. Wie die Fliegen! Wie die Fliegen kleben die Toten an den Wänden dieses Jahrhunderts.
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BECKMANN: Ich war nämlich drei Jahre lang weg. In Rußland. Und gestern kam ich wieder nach Hause. Das war das Unglück. Drei Jahre sind viel, weißt du. Beckmann – sagte meine Frau zu mir. Einfach Beckmann. Und dabei war man drei Jahre weg. Beckmann sagte sie, wie man zu einem Tisch Tisch sagt. Möbelstück weg. Stell es weg.
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MÄDCHEN [zu Beckmann]: Du siehst so wunderbar traurig aus, du armes graues Gespenst: in der weiten Jacke, mit dem Haar und dem steifen Bein.
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BECKMANN: Das habe ich gestern nacht auch den Mann gefragt, der bei meiner Frau war. In meinem Hemd war. In meinem Bett.
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OBERST [der ehemalige Vorgesetzte Beckmanns]: Lieber junger Freund, Sie stellen die ganze Sache doch wohl reichlich verzerrt dar. Wir sind doch Deutsche. Wir wollen doch lieber bei unserer guten deutschen Wahrheit bleiben.
(…)
Ich habe aber doch stark den Eindruck, daß Sie einer von denen sind, denen das bißchen Krieg die Begriffe und den Verstand verwirrt hat.
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BECKMANN: Und wo soll ich anfangen? Wo denn? Einmal muß man doch irgendwo eine Chance bekommen. Irgendwo muß man doch irgendwo eine Chance bekommen. Irgendwo muß doch ein Anfänger mal anfangen.
(…) Wo sollen wir denn anfangen? Wo denn? Wir wollen doch endlich einmal anfangen!
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BECKMANN: Mit der Wahrheit ist das wie mit einer stadtbekannten Hure. Jeder kennt sie, aber es ist peinlich, wenn man ihr auf der Straße begegnet.
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BECKMANN: Ich bin nur ein schlechter Witz, den der Krieg gemacht hat, ein Gespenst von gestern. Und weil ich nur Beckmann bin und nicht Mozart, deswegen sind alle Türen zu. Bums. Deswegen stehe ich draußen. (…) Und weil ich ein Anfänger bin, deswegen kann ich nirgendwo anfangen. (…) Die Straße stinkt nach Blut, weil man die Wahrheit massakriert hat, und alle Türen sind zu. Ich will nach Hause, aber alle Straße sind finster.
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BECKMANN: Das Leben ist so:
1. Akt: Grauer Himmel. Es wird einem wehgetan.
2. Akt: Grauer Himmel. Man tut wieder weh.
3. Akt: Es wird dunkel und es regnet.
4. Akt: Es ist noch dunkler. Man sieht eine Tür.
5. Akt: Es ist Nacht. Tiefe Nacht. Und die Tür ist zu. Man steht draußen. Draußen vor der Tür.
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