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29.8.12

Deutschland. Ein Wintermärchen: Caput V

Der Dichter kommt an den Fluss – Rhein. Er spricht mit ihm und freut sich, Rhein zum ersten Mal seit 13 Jahren wiederzusehen. Er nennt ihn „Vater Rhein“ und gesteht, dass er sich nach ihm gesehnt hat. Er hört Geräusche, die sich zu Worten verschmelzen:

»Willkommen, mein Junge, das ist mir lieb,
Daß du mich nicht vergessen


Der Dichter fragt den Rhein, was in letzter Zeit geschehen ist. Der Fluss „erzählt“ darüber, dass die Zeiten in Deutschland schwer waren. Das nationale Lied „Der deutsche Rhein“ von Niklas Becker (1809-1845) hat ihm nicht gefallen:

Er hat mich besungen, als ob ich noch
Die reinste Jungfer wäre


Der Rhein ist keine reine Jungfer, weil viel Schmutz sich in ihm befindet – gemeint werden historische Ereignisse, z. B. Kriege. Er will nicht blamiert werden. Jetzt sollten die Franzosen zurückkommen – der Rhein macht sich Gedanken darüber, ob sie so sind wie früher. Alfred de Musset (1810-1857) wird erwähnt – es war ein französischer Dichter, der eine Parodie des Liedes von Becker verfasst hat.

Als der Fluss klagt, will der Dichter ihn trösten. Er sagt, dass der Rhein sich vor den Franzosen nicht fürchten sollte. Sie werden ihn nicht belächeln oder verspotten. Jetzt sind es „nachdenkliche“ Menschen, die sich zur Philosophie (Immanuel Kant, Gottlieb Fichte, Friedrich Hegel) neigen. Jetzt seien sie so wie die Deutschen („Philister“). Sie seien nicht so radikal wie Voltaire, eher so wie Hengstenberg (Ernst Wilhelm, 1802-1869 – Theologe, Heines Gegner). Alfred de Musset, Verfasser der Parodie, sei noch ein junger Mann, der „gefesselt“ werden kann, damit er schweigt.

Der Dichter verabschiedet sich dann von dem Fluss und verspricht ihm ein Wiedersehen. Er versichert ihm auch, dass der Rhein bald ein „besseres Lied“ hören wird.

28.8.12

Deutschland. Ein Wintermärchen: Caput IV

Der Dichter kommt in Köln an. Er spürt frische Luft, isst Eierkuchen mit Schinken, trinkt Rheinwein. Nachts schaut er sich die Stadt an und denkt an „Dunkelmänner“. Die Häuser erinnern ihn an die Geschichte von Köln. Die sog. „Dunkelmännerbriefe“ wurden 1515 und 1517 verfasst, während des Weiterbaus des Kölner Doms. In diesen Briefen wurde die Scholastik ins Lächerliche gezogen und die Geistlichen wurden angegriffen. Ulrich von Hutten (1488-1523), der Mitverfasser, wird erwähnt. Der Dichter nennt weitere Personen, z. B. Hochstraaten (eig. Hoogstraeten) – den Theologen, der die humanistischen „Dunkelmännerbriefe“ bekämpfte oder Menzel, den Jugendfreund von Heine, der als Student oppositionell war.

Der Dichter denkt über das Mittelalter nach und spielt auf die Inquisition an:

Der Cancan des Mittelalters ward hier
Getanzt von Nonnen und Mönchen


Die Flamme des Scheiterhaufens hat hier
Bücher und Menschen verschlungen;
Die Glocken wurden geläutet dabei
Und Kyrie eleison gesungen.


Der Kölner Dom sollte „des Geistes Bastille“ sein. Der Dichter glaubt jedoch, dass der deutsche Verstand stattdessen zugrunde gegangen ist. Während der Reformation wurde der Bau unterbrochen und Heine sieht dies als Fortschritt. Den Dom betrachtet er als ein „Denkmal von Deutschlands Kraft“. Sein Land ist protestantisch geprägt. Der Dichter vermutet, dass der Bau des Doms nicht beendet werden wird und dass die Anstrengungen des Domvereins, der Wahn seiner Mitglieder, das Betteln, die Suche nach finanziellen Mitteln vergeblich sind. Auch der Komponist Franz Liszt (1811-1866) gab ein Wohltätigkeitskonzert zugunsten des Baus vergeblich. Auch der König (Friedrich Wilhelm IV.) wird es nicht schaffen. Der Dom gilt hier als Symbol der Unterdrückung anderer Religionen. Heine behauptet, dass der Dom eines Tages seinen ursprünglichen Sinn verliert:

Ja, kommen wird die Zeit sogar,
Wo man, statt ihn zu vollenden,
Die inneren Räume zu einem Stall
Für Pferde wird verwenden.


Er hat die Antwort auf die möglichen Fragen der Menschen parat: die Heiligen Drei Könige sollten in Münster gefeiert werden. Balthasar, Melchior und Kaspar stehen für die Heilige Allianz – das Symbol der konservativen alten Ordnung.

Der Schneiderkönig“ wird erwähnt. Es handelte sich um die Wiedertäufer, um das Täuferreich von Münster – eine radikalreformatorische-christliche Bewegung, die nach Glaubensfreiheit sowie nach Trennung von Kirche und Staat forderte und von der Obrigkeit und den Amtskirchen verfolgt wurde. Mit dem „Schneiderkönig“ meint Heine Jan van Leiden (1509-1536), der eine führende Persönlichkeit der Täufer war. Er nahm als Johann I. den Königstitel an, errichtete das „Königreich Zion“ und einen Hofstaat. Er wollte sich nicht bekehren und wurde gefoltert und erdolcht.

Heine kritisiert den König Friedrich Wilhelm III., der dem Volk die 1813 versprochene Verfassung verweigerte:

Das waren vielleicht zwei Gäuche,
Die in der Not eine Konstitution
Versprochen ihrem Reiche,

Und später nicht Wort gehalten
“.

27.8.12

Deutschland. Ein Wintermärchen: Caput III

In Aachen wurde Karl der Große begraben (im Jahre 771 kam er an die Macht, organisierte Feldzüge unter dem Vorwand der Christianisierung, eroberte Sachsen und Gebiete zum Hannover. 800 wurde er zum Kaiser gekrönt. 812 starb er. Er repräsentierte die Idee der Alleinherrschaft in Europa). Karl Mayer (1786-1870), schwäbischer Dichter, wird erwähnt.

Der Erzähler will als Poet leben. Er begegnet wieder dem preußischen Militär, beschreibt sein Aussehen:

Es sind die grauen Mäntel noch
Mit dem hohen, roten Kragen –
(Das Rot bedeutet Franzosenblut,
Sang Körner in früheren Tagen.)


Nichts hat sich geändert, alles ist beim Alten geblieben:

Noch immer das hölzern pedantische Volk,
Noch immer ein rechter Winkel
In jeder Bewegung, und im Gesicht
Der eingefrorene Dünkel.


Die Vertreter des Militärs sind steif, als „hätten sie den Stock verschluckt“ – langweilig, es ist kein Leben da. Heine kritisiert scharf das preußische Militär. Er zeigt, dass Deutschland stehen geblieben ist. Er beschreibt das Militär als „rittertümlich“, mittelalterlich. Ihm fällt alles ein, was mit der Romantik, mit dem Mittelalter zusammenhängt, z. B. Kreuzzüge, Ritterturniere.

Das ist so rittertümlich und mahnt
An der Vorzeit holde Romantik

Das mahnt an das Mittelalter so schön,
An Edelknechte und Knappen

Das mahnt an Kreuzzug und Turnei"

In Aachen sieht er einen „Vogel“ – gemeint ist der preußische Wappenadler, der ihm verhasst ist und der seiner Ansicht nach gedemütigt werden sollte. Der Dichter ist absolut gegen Preußen.

Du häßlicher Vogel, wirst du einst
Mir in die Hände fallen;
So rupfe ich dir die Federn aus
Und hacke dir ab die Krallen.


Im dritten Abschnitt weist Heine darauf hin, dass man in Deutschland konservativ geblieben ist, dass keine Veränderungen vollzogen werden.

26.8.12

Deutschland. Ein Wintermärchen: Caput II

Als der Erzähler die Grenze überschreitet, trifft er auf die Revision. Die preußischen Zollbeamten durchsuchen seinen Koffer, sie suchen nach Schmuck, nach verbotenen Büchern, nach Propagandamitteln, nach Drucksachen. Sie wissen, dass er politisch engagiert ist, fürchten sich davor, dass er vielleicht zum Aufstand aufrufen wird, dass etwas sich möglicherweise verändert. Der Dichter findet die Zollbeamten gefährlich.

Der preußische Zollverein - ein Zusammenschluss zahlreicher deutscher Staaten zum Deutschen Zollverein erfolgte 1834 unter preußischer Führung. Er bezweckte die Zollfreiheit, die als eine Förderungsmaßnahme für die preußische Wirtschaft anzusehen war. Langfristig strebte der Zollverein eine territoriale Vereinigung der deutschen Länder unter Vorherrschaft Preußens an.

Heine schreibt darüber, dass er als Dichter gefährlicher als Hoffmann von Fallersleben ist (Verfasser des Deutschlandliedes, dessen „Unpolitische Lieder“ 1841 erschienen sind). Er will zersplittertes Vaterland zu einem Ganzen verbinden, zur Einheit im Denken und Sinnen aufrufen. Die Zensur ist nur eine Richtung im Denken. Die Menschen sollten nur in diese Richtung denken, keine neuen Ideen haben. Das, was der Dichter im Kopf hat, kann man ihm jedoch nicht wegnehmen. In seinen Kopf kann niemand rein. Seine Gedanken will er z. B. als Flugblätter veröffentlichen.

Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!
Hier werdet ihr nichts entdecken!
Die Konterbande, die mit mir reist,
Die hab ich im Kopfe stecken
“.

Und viele Bücher trag ich im Kopf!
Ich darf es euch versichern,
Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest
Von konfiszierlichen Büchern
“.

25.8.12

Deutschland. Ein Wintermärchen: Caput I

Caput I“ stellt eine Art Einführung dar. Es ist eine Art Einblick in die Denkwelt des Dichters, in sein Weltbild, Menschenbild, in seine Lebenseinstellung. Im November 1843 reist er nach Deutschland. Er spürt Freude, ist tief berührt, es ist ihm seltsam zumute. Er hört die deutsche Sprache, er hört ein kleines Hafenmädchen singen (von Liebe, Aufopferung und Wiederfinden oben, in einer besseren Welt, von Freude, vom Jenseits. Es ist ein altes Entsagungslied vom Leben, in dem man auf Genüsse verzichtet). Heine kennt den Verfasser und den Text. Ihm gefallen die Form, die Melodie, aber der Inhalt nicht, denn das Entsagungslied setzt voraus, dass es im Himmel besser ist, dass man auf Erden fromm und bescheiden leben sowie alles mit Geduld aushalten sollte. Auf Erden gebe es das Jammertal. Er will ein besseres Lied dichten – Lied über Glück und darüber, dass es für jeden Brot geben sollte. Es wäre eine bessere Zeit, wo Jungfer Europa sich mit der Freiheit verlobt.

Im ersten Abschnitt wird die Kirche kritisiert: die Geistlichen setzen ihre Predigte nicht in die Tat, sind heuchlerisch, verlogen. Sie hindern die Menschen daran, schon auf Erden glücklich zu sein. Es geht auch um alle Menschen, die genauso predigen. Heine selbst ist der Meinung, dass man versuchen sollte, glücklich zu sein, sich das Leben so schön wie möglich zu gestalten. Der Dichter hat eine hedonistische Einstellung und sucht keinen Trost in der Religion.

Deutschland. Ein Wintermärchen

Heute beginne ich, den berühmten Text von Heine detailliert zu besprechen. „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (1844) ist einer meiner Lieblingstexte.

Heinrich Heine schrieb auf eine ziemlich einfache Art und Weise (einfacher Wortschatz, einfache Stilmittel, volkstümlich, melodisch). „Deutschland. Ein Wintermärchen“ ist eine Verssatire. Deutschland und die Deutschen werden nicht so positiv dargestellt, sie werden scharf kritisiert. Heine bezieht sich auf den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund. Man hat ihm vorgeworfen, sein eigenes Netz zu beschmutzen. Er will zu den Menschen gelangen, äußert offen seine Kritik.

Der Text besteht aus 27 Abschnitten. Es ist eine Art Reisebericht. Heine bringt seine Gedanken, seine Träume zum Ausdruck. Auch Lieder, phantastische, politische und gesellschaftskritische Elemente erscheinen im Text.

Heine beschäftigt sich mit Grundfragen: Emanzipation des Volkes, deutsche Zukunftsperspektive. Die Zukunft bleibt ungewiss, aber es gibt auch nicht viel Hoffnung. Heine hat hier zwei Elemente verbunden: einerseits ein politisches Gedicht mit einem poetischen Reiz. Er hat also zwei in einem verbunden: sein Text ist politisch, kritisch, aber zugleich poetisch, schön, romantisch.

Man hat Heine vorgeworfen, zu scharf, zu bissig attackiert zu haben. Der Dichter war jedoch der Meinung, dass er als einer der Deutschen das Recht darauf hat, zu zeigen, was in seinem Land schlecht funktioniert und was man verbessern könnte.

24.8.12

Heinrich Heine: "Der Tannhäuser"

Heinrich Heine (1797-1856) teilte die Menschen in zwei Gruppen ein:

Die Epikureer (Hedonisten) – sie genießen das Leben und nutzen jede Gelegenheit, um Spaß zu haben

„Schmalbrüstige Nazarener“ – die Menschen, die asketisch leben, die tief religiös sind. Sie hoffen darauf, dass sie nach dem Tode belohnt werden.

Heine war eindeutig auf der Seite der Hedonisten. Er war gegen Askese und Entsagung.

Der Tannhäuser“ ist eine Ballade. Der Text enthält Elemente der Lyrik (die Struktur, der lyrische Hintergrund, die Gefühlsintensität), der Epik (die Handlung) und des Dramas (Dialoge, Monologe, der dramatische Konflikt). Heine entnahm die Thematik einer mittelalterlichen Legende.

Tannhäuser war kein typischer Ritter, er war jedoch ein typischer Repräsentant des zeitgenössischen Menschen. Er war satt, wollte Abwechslung, wollte etwas Neues probieren. Er suchte ständig nach seinem Platz im Leben, erfüllte sich weder in der Welt der Sinne und der Genüsse noch in der Welt der christlichen Moral. Auch wenn er sich für etwas entschied und kurzfristig zufrieden war, fühlte er sich später trotzdem unerfüllt. Er war zerrissen. Er war weder mit genussvollem Leben noch mit der christlichen Moral zufrieden. Er konnte sich nicht zurechtfinden.

Bei Venus genoss er das Leben richtig. Sie las ihm jeden Wunsch von den Augen ab. Die beiden genossen richtig die sinnliche Ebene des Lebens (Lust, Essen, Trinken). Venus nahm die Rolle der Hausfrau an. Nach einer Zeit sehnte er sich danach, was ihm gefehlt hatte (Tränen, Schmerzen, Leid):

Frau Venus, meine schöne Frau,
Von süßem Wein und Küssen
Ist meine Seele geworden krank;
Ich schmachte nach Bitternissen.
Wir haben zuviel gescherzt und gelacht,
Ich sehne mich nach Tränen,
Und statt mit Rosen möcht ich mein Haupt
Mit spitzigen Dornen krönen
“.

Er begab sich nach Rom und bat den Papst Urban um Vergebung, beichtete bei ihm:

Schaun dich die großen Augen an,
So bist du wie angekettet;
Ich habe nur mit großer Not
Mich aus dem Berg gerettet.
Ich hab mich gerettet aus dem Berg,
Doch stets verfolgen die Blicke
Der schönen Frau mich überall,
Sie winken: komm zurücke!


Ich gäb ihr die Sonne, ich gäb ihr den Mond,
Ich gäbe ihr sämtliche Sterne.
Ich liebe sie mit Allgewalt,
Mit Flammen, die mich verzehren,
Ist das der Hölle Feuer schon,
Die Gluten, die ewig währen?“
„Errette mich von der Höllenqual
Und von der Macht des Bösen!


Der Zauber, dem der Ritter verfallen war, war zu stark. Der Papst half ihm nicht, lehnte den Ritter ab:

Du bist verworfen, du bist verdammt
Zu ewigen Höllenqualen
“.

Tannhäuser konnte sich dem Zauber nicht entziehen. Er kehrte zu Venus zurück:

Ich hatte Geschäfte in Rom
Auch hab ich in Rom den Papst gesehn,
Der Papst er läßt dich grüßen
.“

23.8.12

"Lenz": Die wichtigsten Zitate. Teil 2

Als Oberlin weg war:

Je leerer, je kälter, je sterbender er sich innerlich fühlte, desto mehr drängte es ihn, eine Glut in sich zu wecken“.

Lenzens Gebet:

„[…] er betete mit allem Jammer der Verzweiflung, daß Gott ein Zeichen an ihm tue und das Kind beleben möge

Stehe auf und wandle!

Atheismus:

In seiner Brust war ein Triumphgesang der Hölle“.

Oberlin aus der Schweiz zurück:

Dabei ermahnte er ihn, sich in den Wunsch seines Vaters zu fügen, seinem Berufe gemäß zu leben, heimzukehren“.

Ehre Vater und Mutter!

Über dem Gespräch geriet Lenz in heftige Unruhe“.

Oberlin sagte ihm, er möge sich zu Gott wenden“.

Lenz:

Ja, wenn ich so glücklich wäre wie Sie, einen so behaglichen Zeitvertreib aufzufinden, ja, man könnte sich die Zeit schon so ausfüllen. Alles aus Müßiggang. Denn die meisten beten aus Langeweile, die andern verlieben sich aus Langeweile, die dritten sind tugendhaft, die vierten lasterhaft, und ich gar nichts, gar nichts, ich mag mich nicht einmal umbringen: es ist zu langweilig!

Er besuchte das Grab des Kindes“, „[…] küßte die Erde des Grabes

„[…] er hatte keinen Haß, keine Liebe, keine Hoffnung – eine schreckliche Leere, und doch eine folternde Unruhe, sie auszufüllen. Er hatte nichts“.

„[…] eine unaussprechliche Angst malte sich in seinen Zügen

„[…] der Wahnsinn packte ihn

„[…] es war, als sei er doppelt, und der eine Teil suche den andern zu retten

„[…] ich will ja nichts als Ruhe, Ruhe, nur ein wenig Ruhe, um schlafen zu können

Lenz zu Oberlin:

Hören Sie denn nicht die entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit und die man gewöhnlich die Stille heißt?

22.8.12

"Lenz": Die wichtigsten Zitate. Teil 1

Über Lenz:

„[…] es drängte in ihm, er suchte nach etwas
„[…] riß es ihm in der Brust
„[…] er müsse den Sturm in sich ziehen
Es wurde ihm entsetzlich einsam

Lenz bei Oberlin zu Hause:

„[…] nach und nach wurde er ruhig – das heimliche Zimmer und die stillen Gesichter
„[…] man drängte sich teilnehmend um ihn, er war gleich zu Haus

Lenz alleine im Zimmer:

„[…] es wurde ihm leer
Eine unnennbare Angst erfaßte ihn
Er konnte sich nicht mehr finden; ein dunkler Instinkt trieb ihn, sich zu retten“.
„[…] der Schmerz fing an, ihm das Bewußtsein wiederzugeben“.

Lenz in Gegenwart von Oberlin:

„[…] man drängte sich um Oberlin, er wies zurecht, gab Rat, tröstete; überall zutrauensvolle Blicke, Gebet. Die Leute erzählten Träume, Ahnungen. Dann rasch ins praktische Leben: Wege angelegt, Kanäle gegraben, die Schule besucht“.
Es wirkte alles wohltätig und beruhigend auf ihn“.

Lenz wieder alleine im Zimmer:

„[…] er klammerte sich an alle Gegenstände
„[…] gegen Abend befiel ihn eine sonderbare Angst

Lenz mit Oberlin:

„[…] dieser Glaube, dieser ewige Himmel im Leben, dieses Sein in Gott – jetzt erst ging ihm die Heilige Schrift auf“.

Lenz alleine:

„[…] er empfand ein leises tiefes Mitleid mit sich selbst, er weinte über sich

Die Lebenseinstellung von Lenz und Kaufmann

Lenz:

Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht, wie sie sein soll, und wir können wohl nicht was Besseres klecksen; unser einziges Bestreben soll sein, ihm ein wenig nachzuschaffen. Ich verlange in allem – Leben, Möglichkeit des Daseins, und dann ist’s gut: wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es häßlich ist. Das Gefühl, daß, was geschaffen sei, Leben habe, stehe über diesen beiden und sei das einzige Kriterium in Kunstsachen“.

Nach Haus? Toll werden dort?“ „Laßt mich in Ruhe!

Kaufmann:

Wenn ich in mir arbeite, kann ich auch wohl was dabei fühlen, aber ich tue das Beste daran“.

"Woyzeck": Die wichtigsten Zitate

Hauptmann: „Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche”.

Woyzeck: „Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen“.

Es muss was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl!

Doktor zu Studenten: „Sehen Sie: der Mensch, seit einem Vierteljahr ißt er nichts als Erbsen; bemerken Sie die Wirkung, fühlen Sie einmal: Was ein ungleicher Puls! Der und die Augen!

Marie liest die Bibel: „Aber die Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruch begriffen, und stelleten sie ins Mittel dar… Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr!

Friedrich Johann Franz Woyzeck, Wehrmann, Füsilier im 2. Regiment, 2. Bataillon, 4. Kompanie, geboren Maria Verkündigung, den 20. Juli. – Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 Monate und 12 Tage“.

19.8.12

Die Verstandeskultur der Aufklärung. Teil 2

Das intellektuelle Profil der Aufklärung wird von einigen Gemeinsamkeiten geprägt. Die Vernunft steht im Zentrum der Erkenntnis und ist ihr Fundament. Die Aufgabe der Aufklärung ist es, den Menschen zum Gebrauch seines Verstandes zu erziehen. In der Epoche werden wissenschaftliche Methoden neu formuliert und neue Denkansätze entstehen. Die Aufklärung wird als „das Zeitalter des Wissens“ aufgefasst, weil theoretische Probleme selbstbewusst diskutiert und wissenschaftliche Hypothesen mit viel Energie erprobt und überprüft werden.

Noch im 17. Jahrhundert ging man davon aus, dass die Geheimnisse der Natur von dem Menschen nicht erschlossen werden können, weil nur Gott sie kennt und nur er über das absolute Wissen verfügt. In der Aufklärung betrachtet man wissenschaftliche Verfahren als eine Methode, die der Wahrheitserkenntnis dient. Der Rationalismus begreift die Natur als eine logische, nach Prinzipien der Vernunft geschaffene Ordnung – deswegen sollte auch die Wissenschaft auf Vernunftsregeln basieren. Es muss erwähnt werden, dass die Säkularisierung fortschreitet und kirchliche Autoritäten eine geringere Rolle spielen.

18.8.12

Die Verstandeskultur der Aufklärung. Teil 1

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen! Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!, ist also der Wahlspruch der Aufklärung“.
(Immanuel Kant)

Vor zwei Tagen habe ich einen interessanten Text gelesen. Es ist ein Text von Peter André Alt, der sich in „Aufklärung. Lehrbuch Germanistik“ (2001) befindet.

Die Aufklärung war natürlich keine einheitliche Epoche, obwohl bestimmte Ziele und Gedanken übergreifend waren. Es war ein gesamteuropäisches Phänomen. Die Aufklärung kann in unterschiedliche Phasen eingeteilt werden. Die Tendenzen der Epoche waren heterogen.

Man kann drei Hauptströmungen unterscheiden:

1) zwischen 1680 und 1740: der Rationalismus galt als bestimmendes philosophisches System. Der frühaufklärerische Rationalismus geht davon aus, dass Gott die Natur als eine Vernunftnatur geschaffen hat. Die natürliche Ordnung ist logisch und der Mensch sollte sich nach seinem Verstand richten, um sie zu verstehen. Außerdem sollte er sich wissenschaftlicher Verfahren bedienen, um die Geheimnisse der Natur zu erschließen. Der Mensch wird als denkendes Individuum aufgefasst.

2) zwischen 1740 und 1780: der Empirismus und der Sensualismus dominieren als philosophische Systeme. Es gibt in der zweiten Phase keinen Leitbegriff. Die Philosophie, die auf der menschlichen Erfahrung basiert – der Empirismus, setzt eine gewisse Distanz zum vernunftorientierten Rationalismus voraus. Neben der Vernunft kommt die Erfahrung in den Vordergrund. Die Vernunft steht immer noch im Mittelpunkt, aber die Methode der Erforschung der Welt ist anders: die Erfahrung ist am wesentlichsten. Der Sensualismus betrachtet die menschlichen Wahrnehmungen als einen rationalen Bereich, der analysiert werden sollte.

3) zwischen 1780 und 1795: der Kritizismus tritt hervor und die Transzendentalphilosophie von Immanuel Kant ist im intellektuellen Zentrum der abschließenden Phase der Aufklärung. Kant (1724-1804) war in Königsberg Professor für Philosophie. Seine Hauptwerke sind „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) und „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) – Kant beschäftigt sich mit der vernunftorientierten Erkenntnis und mit dem vernunftgeleiteten Handeln. Er untersucht die Grenzen der Erkenntnis, die auf der Vernunft basiert. Seine Theorie des Urteils beschreibt die Erkenntnis der Wirklichkeit als transzendental – die Erkenntnis hängt von den Bedingungen der theoretischen Möglichkeit ab. Der Mensch herrscht über die Realität, wenn er sie schafft.

Freiheit ist die Autonomie des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein“.
(Immanuel Kant)

Die Natur hat gewollt, dass der Mensch […] keiner anderen Glückseligkeit oder Vollkommenheit teilhaftig werde, als die er sich selbst, frei von Instinkt, durch eigene Vernunft, verschafft hat“.
(Immanuel Kant)

15.8.12

„Lenz” von Georg Büchner

Lenz” ist eine Erzählung von Georg Büchner, die 1839, also posthum veröffentlicht wurde. Die genaue Entstehungszeit ist unbekannt.

In der Erzählung treffen zwei Welten aufeinander. Die idealistische Periode fing damals an. Kaufmann war ein Anhänger davon, Lenz widersprach heftig, Oberlin war ein Repräsentant der Vernunft.

Büchner hat die Geschichte den Tagesbüchern des Pfarrers Oberlin entnommen. Die Handlung spielt vom 20. Januar bis zum 8. Februar 1778.

Lenz will sich befreien – von der Arbeit, von den Eltern, von den Pflichten. Er will nicht arbeiten. Er wandert durch schneebedeckte Täler, hat Angstzustände, Angst vor Dunkelheit. Er ist einsam. Beim Aufenthalt bei Oberlin verbessert sich sein Zustand (die Nähe der Natur). Oberlin will Lenz aus den Fesseln der Krankheit befreien. Lenz fühlt Leere, eine unnennbare Angst, versucht Hand an sich zu legen. Dann versucht er seine Tat zu rechtfertigen. Er handelt impulsiv, aber empfindet dann Reue. Oberlin toleriert sein merkwürdiges Verhalten. Lenz verrichtet Buße auch im religiösen Sinne – er fastet, beschmiert sich mit Asche.

Bei Oberlin ist Lenz ruhiger, Oberlin gibt ihm Ratschläge, tröstet ihm. Die Leute erzählen dem Pfarrer ihre Träume, ihre Handlungen. Oberlin ist wohltätig, beruhigt sie. Lenz unterstützt Oberlin, zeichnet, liest die Bibel. Wenn er alleine im Zimmer ist, fühlt er Angst, Wahnsinn, klammert sich an Gegenstände, spricht, singt, rezitiert Stellen aus Shakespeare. Nachts weint er über sich, fühlt tiefes Mitleid mit sich selbst, kämpft innerlich mit sich selbst. Bei Oberlin ist Lenz kein passiver Mensch – er tut etwas Praktisches, denn der Pfarrer nicht nur predigt, sondern auch hilft den Menschen.

Kaufmann erhält Briefe von Lenzens Vater: sein Sohn solle zurückkommen, um ihn zu unterstützen. Lenz erwidert: „Toll werden dort? Lasst mich dort in Ruhe!“ Kaufmann ist dann weg, er begibt sich in die Schweiz, weil er beschließt, Oberlin ins Gebirge zu begleiten. Lenz bleibt alleine. In einer bewohnten Hütte trifft er ein Mädchen, das sich nicht bewegt und eine alte, halb taube Frau. Ein Mann versucht dem Mädchen zu helfen. Er ist vor langer Zeit in die Gegend gekommen, hat den Ruf eines Heiligen, sieht das Wasser unter der Erde und kann Geister beschwören. Er betet leise, nimmt ein getrocknetes Kraut von der Wand und legt dem Mädchen die Blätter auf die Hand. Am nächsten Tag liegt das Mädchen in Zuckungen. Alleine in seinem Zimmer betet Lenz, er spürt das wüste Chaos seines Geistes, psychischen Schmerz, religiöse Quälereien. Er will eine Glut in sich wecken. Als er erfährt, dass ein Kind in Fouday gestorben ist (Friederike), beschmiert er sich das Gesicht mit Asche und fordert einen alten Sack. Er betet, dass Gott ein Zeichen an dem Kind tue und es beleben möge. Lenz erfährt die praktische Folgenlosigkeit der Religion, die ihn zum Atheismus führt. Die Höhe des Gebirges symbolisiert den Atheismus.

Als Oberlin zurückkommt, fordert er Lenz dazu auf, dass er heimkehren, dem Beruf gemäß leben, Vater und Mutter ehren, sich zu Gott bekehren solle. Lenz fühlt heftige Unruhe. Um die Mitternacht rennt er durch den Hof, ruft den Namen Friederike, dann stürzt er sich vom Fenster in einen Brunnenstein, weil er eine innere Stimme gehört hat.

Lenz: Gott hat die Welt so gemacht, wie sie sein soll und wir können nichts Besseres machen. Wir sollten ihn nachahmen. Lenz verlangt in allem Leben, Möglichkeit des Daseins – dann ist es gut und wir müssen nicht fragen, ob es schön oder hässlich ist. Das einzige Kriterium – das, was geschaffen ist, hat Leben (so wie bei Shakespeare, in Volksliedern, bei Goethe). Der Idealismus ist die Verachtung der menschlichen Natur. Eine Inspiration für diese Figur war Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792), ein Dichter des Sturm und Drangs. Er verfasste u.a. Tragikomödien „Hofmeister“ oder „Soldaten“. Er war für eine unendliche Schönheit, die aus einer Form in eine andere tritt. Man muss die Menschlichkeit lieben – es darf einem keiner zu gering, keiner zu hässlich sein. Lenz glaubt, dass alles, was natürlich ist, auch schön ist – also alles, was von Gott kommt, was geschaffen worden ist. Man braucht nichts zu verschönern. Das oberste Prinzip ist die treue Wiedergabe der Realität mit allen Aspekten. Alles sollte man so zeigen, wie man es sieht. Alles, was existiert, ist der Beachtung wert. Lenz schreckt nicht davor zurück, die Hässlichkeit darzustellen. Er ist Realist und will, dass man das in Werken schildert, was der Wirklichkeit entspricht. Er hatte ein Vorbild – Shakespeare, der Menschen aus Fleisch und Blut gezeichnet hatte. Es waren reale Menschen, die auch schlechte Seiten haben. Bei Lenz gibt es keine Apotheose des Schönen. In der Wirklichkeit findet man keine Typen für einen Apoll oder eine Rafael‘sche Madonna.

Oberlin repräsentiert den Geist der Vernunft. Die Schwierigkeiten sollte man akzeptieren, weil sie von Gott kommen. Lenz will sich vor ihnen wehren, frei von den Pflichten sein. Oberlin ist ein rational denkender Mensch. Er glaubt fest an Gott, an die Wirkung der Religion auf menschliches Leben.

Am Ende wird Lenz nach Straßburg abtransportiert. Oberlin weiß, dass er hilflos ist, dass Lenz eine Fachhilfe braucht.

Der Text ist eine Chronik der Krankheit, sie kommt in den Vordergrund.

Lenz ist ein Dichter der Sturm-und-Drang-Periode. Damals herrschte der Geniekult – Dichter sind Gott gleich, weil sie schaffen. Sie fühlten sich von der Gesellschaft bedrängt, abgestoßen. Sturm und Drang folgte der Aufklärung – man konnte damals alles mit Vernunft, mit Verstand begründen. In der Sturm-und-Drang-Periode ist das Gefühl am wichtigsten. Die Parole – zurück zur Natur – verbindet beide Epochen. Das Natürliche ist schön und gut. Die Zivilisation hindert den Menschen daran, sich zu vervollkommnen. Sie hat die Menschheit verdorben. Die Stürmer und Dränger wollen sich von gesellschaftlichen Normen befreien. Sie sind schöpferisch, gefühlvoll, rufen zur Auflösung von gesellschaftlichen Regeln auf.

Die Erzählung von Büchner hat man als eine Opposition gegen Schiller empfunden. Es gibt sentimentale und naive Dichter. Die Idealisten sehnen sich nach der unverdorbenen Natur, sie wollen sie wiederherstellen. Die naiven Dichter wollen gar nichts verklären, ihrer Meinung nach ist die Rückkehr zur Natur nicht mehr möglich.

14.8.12

"Woyzeck": Marie - die Geliebte des Protagonisten

Marie, die Geliebte von Woyzeck, ist vor allem die Mutter. Sie hat ein kleines Kind und will für ihren Sohn das Beste. Sie will Woyzeck nicht betrügen, sie will dem Drängen des Tambourmajors nicht nachgeben. Trotzdem tut sie es, weil sie weiß, dass der Tambourmajor die Bedürfnisse ihres Kindes erfüllen könnte.

Sie hat ein schlechtes Gewissen, aber vergleicht sich mit Maria Magdalena und hat auch die Hoffnung auf die Verzeihung Gottes. In einer anderen sozialen Lage würde sie Woyzeck nicht betrügen.

"Woyzeck": Die Charakteristik des Protagonisten

Woyzeck, der Protagonist des Dramas von Georg Büchner, lebt in einer Gesellschaft, in der die Armen keine Hoffnung auf eine Verbesserung haben. Er ist Soldat, außerdem nimmt er an einem Experiment teil, schneidet Stöcke und rasiert den Hauptmann, um etwas mehr Geld zu verdienen. Das Geld gibt er seiner Geliebten – Marie. Die beiden haben ein Kind – Christian, aber sind nicht verheiratet. Woyzeck möchte Marie heiraten, aber hat kein Geld für die Trauung. Der Hauptmann wirft ihm vor, dass er ein Kind „ohne den Segen der Kirche“ habe. Aber in dieser Welt hängen Tugend, Moral und Geld immer zusammen. Dann kann man tugendhaft und moralisch leben, wenn man Geld hat. Die Welt zwingt die armen Menschen dazu, nicht moralisch zu leben. Man rechnet nicht mit denen, die kein Geld haben.

Doktor missbraucht Woyzeck für ein medizinisches Experiment. Woyzeck ernährt sich ausschließlich von Erbsen. Als er dem Doktor sagt, dass er sich schlecht fühlt, stellt dieser fest: „Er ist ein interessanter Kasus. Subjekt Woyzeck“. Für ihn ist Woyzeck ein Versuchsobjekt, das als Mensch nichts bedeutet.

Auch Tambourmajor erniedrigt Woyzeck, indem er seine Geliebte Marie verführt. Für Woyzeck ist es das Schlimmste, was passieren konnte. Er hatte nur seine Familie und jetzt spürt er, dass er auch sie verliert, denn diese Beziehung führt zur Entfremdung zwischen Marie und Woyzeck.

Der Protagonist hat keine Hoffnung darauf, dass alle Schulden im Jenseits zurückgezahlt werden. Das Leben nach dem Tode bedeutet für ihn keine Erlösung, sondern nur die Verlängerung des irdischen Lebens.

Woyzeck tötet Marie nicht nur aus Eifersucht, sondern vielmehr aus Verzweiflung. Er hat das verloren, was ihm am wichtigsten war. Wahrscheinlich wusste er nicht, was er tat und war unzurechnungsfähig.

13.8.12

"Woyzeck"

Im Drama „Woyzeck” erscheint zum ersten Mal in der deutschen Literaturgeschichte ein Mann aus der untersten Gesellschaftsschicht im Zentrum der Handlung. Es ist ein Stationendrama (23 Stationen – miteinander verbundene Szenen). Es gibt keine Akte. Die Etappen folgen aufeinander. Wir wissen nicht, wo wir sind. Das Tempo der Handlung ist schnell, rasant.

Georg Büchner hatte zwei Quellen für sein Drama: einen Bericht in einer Fachzeitschrift für Jura und eine medizinische Zeitschrift. Woyzeck war im Original ein Perückenmacher, sehr arm, musste unter freiem Himmel übernachten. Seine Lebensgefährtin war eine Witwe, er erstach sie mit einer abgebrochenen Degenklinge. Er wurde zum Tode verurteilt. Er wurde auf dem Markt in Leipzig durch die Schwert öffentlich hingerichtet. Erst nach der Hinrichtung beschäftigte man sich mit seinem Gemütszustand.

Büchners Protagonist ist physisch aktiv. Trotzdem ist er ein passiver Held, weil er an seiner Lage nichts verändert. Er nimmt alles so, wie es ist. Er rebelliert nicht dagegen, er akzeptiert seine Lage.

Marie und das Kind (Christian, Säugling, nicht älter als 1 Jahr) sind ihm am wichtigsten. Woyzeck und Marie sind seit zwei Jahren zusammen. Er wohnt mit Andreas (Soldat).

Woyzeck ist Versuchskaninchen, seit drei Monaten ernährt er sich ausschließlich von Erbsen. Der Arzt beobachtet, was mit dem menschlichen Körper passiert (Blutdruck, Fieber, Verhalten). Woyzeck schneidet auch Stöcke im Gebüsch, die später verkauft werden. Er gibt Marie das Geld. Er ist sich dessen bewusst, dass er nichts bedeutet. Tugend, Moral und Geld hängen in dieser Welt nicht zusammen. Tugend und Armut schließen einander aus. Die Welt zwingt die Menschen dazu, nicht moralisch zu leben. Die Gesellschaft trägt die Schuld. Moral und Tugend sind etwas für die Reichen. Man rechnet nicht mit denen, die kein Geld haben.

Marie geht eine Affäre mit einem Tambourmajor ein. Er schenkt ihr Ohrringe (sie belügt Woyzeck, dass sie sie gefunden hat). Der Hauptmann deutet es Woyzeck an. Marie ist keine schlechte Frau, sie ist in erster Linie die Mutter. Für das Kind will sie das Beste. Sie hat Gewissensbisse, sie vergleicht sich mit Maria Magdalena, der verziehen wurde.

Woyzeck ist wahrscheinlich psychisch krank. Er hat Angst vor Dunkelheit, hört Stimmen, reagiert nicht normal. Es ist ein gehetzter, ausgebeuteter, unterdrückter, hilfloser Plebejer. Wegen der Mechanismen, die in der Gesellschaft funktionieren, wird er zum Mörder. Die Verhältnisse haben ihn dazu geführt – er war erniedrigt, ausgelacht, ohne Perspektiven. In der Gesellschaft funktioniert der Mechanismus der Ausbeutung, Unterdrückung und Entfremdung. Woyzeck ist also wahrscheinlich unzurechnungsfähig, er wusste nicht wirklich, was er tat. Der Hintergrund belastete ihn (Krankheit, finanzielle Lage, Eifersucht, Rache). Er hatte keine Hoffnung darauf, dass er nach dem Tode belohnt wird, dass im Jenseits alle Schulden zurückgezahlt werden, dass das Jenseits Ausgleich bringt.

12.8.12

Georg Büchner

Georg Büchner (1813-1837) setzte sich für die Freiheit ein. Es ging ihm vor allem um Freiheit im sozialen Sinne (von Armut, Hunger, Elend). Als Erster setzte er sich für die Interessen der Ärmsten, des vierten Standes ein. Er betrachtete die Literatur als eine soziale Aufgabe. Er war bereit, seine Literatur den Propagandazwecken unterzuordnen. Die politische Freiheit war für ihn zweitrangig. Es war für ihn wichtig, ob die Ärmsten etwas zu essen haben, ob sie etwas anzuziehen haben. Er vertrat die Interessen der niedrigsten Schicht der Gesellschaft. Seine Ansichten waren radikal.

Büchner war ein sehr guter Kenner der menschlichen Psyche, des Inneren. Er war für die Revolution, die vom Volk durchgeführt werden sollte, um etwas Neues zu bringen – die Verbesserung der Lage der armen Leute. Er befürwortete alle Parolen der Französischen Revolution. Er war der Meinung, dass die Revolution grausam und blutig sein kann.

In seinen Werken beschrieb er einfache Leute. Er rief zum Widerstand gegen die Regierenden und gegen die herrschenden Verhältnisse auf.

Büchner war ein grandioser Rhetoriker, ein guter Agitator. Er war aber keinesfalls ein idealistisch denkender Optimist. Die Geschichte betrachtete er als einen grausamen Mechanismus, der viele Opfer fordert.

10.8.12

"Vor dem Gesetz"

Der Prozess” enthält die berühmte Parabel „Vor dem Gesetz”:

Ein Torhüter bewacht das Tor, das für den Eintritt zum Gesetz steht. Ein „Mann vom Lande“ erscheint und versucht reinzukommen. Das Gesetz ist nur für ihn, weil kein anderer reinkommen will. Das Tor ist nur für ihn gedacht. Der Mann versucht mit Bestechung, mit Überzeugung die Erlaubnis zu bekommen. Er kann das Gesetz nicht kennen lernen, nicht verstehen. Er kommt freiwillig (Selbstgericht). Seine Schuld besteht darin, dass er sich nicht genug bemüht hat, dass er viel zu lange gewartet hat, dass er sich mehr hätte anstrengen können. Es ist nicht klar, ob es dieses Gesetz wirklich gibt: „Sein Augenschein war schwach“. Josef K. kommt auch nicht dahinter, gegen welches Gesetz er verstoßen hat. Gibt es dieses Gesetz?

8.8.12

"Die Verwandlung": eine ungezieferhafte Erscheinung des inneren Zustands

Der Protagonist, Gregor Samsa, erwacht eines Tages als Ungeziefer (von der Größe eines Menschen). Die Familie besteht aus vier Personen: die Eltern, Gregor und die Schwester. Gregor verdient das Geld. Die Schwester ist 17. Der Vater sitzt nur im Schlafrock, ist nicht so kränklich und schwächlich, wie er sich gibt. Die Mutter ist krank (Asthma). Der Vater hatte eine Firma, die pleite gegangen ist. Er ist eine Herrscherfigur. Gregor arbeitet bei einer Firma als reisender Händler, um die ganze Familie unterhalten zu können. Er ist mit der Arbeit unzufrieden, es ist eine ungeliebte, verhasste Arbeit. Er hat kein Privatleben, er schuftet. Er behält nur ein paar Gulden für sich, ist vorsichtig und sparsam. Seine Lieblingsbeschäftigung ist Studieren der Fahrpläne, er ist oft geschäftlich unterwegs, sehr oft außer Haus, was eine Art Flucht vor angespannten, komplizierten Familienverhältnissen sein sollte.

Gregor arbeitet seit fünf Jahren, ist noch nie krank gewesen. Er muss Schulden seines Vaters zurückbezahlen, sonst hätte er längst gekündigt. Er ist ein introvertierter, kontaktarmer, ängstlicher, autoritätsgläubiger Mensch. In seiner Militärzeit war er Leutnant. Außer seiner Arbeit hat er nur Hobbys, denen er nach der Arbeit nachgeht (Studieren der Fahrpläne, Laubsägearbeiten – er hat einen Kasten mit Laubsäge und anderem Werkzeug). Er leidet unter der Autorität des Vaters, der das Sagen in der Familie hat.

Als Gregor eines Tages erwacht, ist er schockiert, kann sich nicht bewegen, sich nicht anziehen. Die Familie muss nach der Verwandlung zu arbeiten beginnen. Gregor ist dann für sie überflüssig. Die Familienmitglieder wollen mit ihm nichts zu tun haben, nur die Schwester gibt ihm das Essen. Niemand will ihm helfen. Er bleibt sich selbst überlassen, fühlt sich ungeliebt, seine Familie will ihn so schnell wie möglich loswerden. Gregor wird in seinem Zimmer versperrt, nur seine Schwester traut sich ihm zu nähern. Er war so lange wichtig, wie lange er arbeiten konnte. Jetzt braucht ihn keiner. Er muss erkennen, dass er sinnlos gearbeitet und sich gequält hat.

Die Verwandlung ist eine Metapher, sie sollte nicht wörtlich verstanden werden. Gregor hat es zwar nie gesagt, aber er wollte nicht mehr so leben wie vor der Verwandlung. Er hat ein sehr monotones Leben geführt. Er hat seine Arbeit nie gemocht, er hat sich daran gewöhnt, dass er arbeiten muss. Innerlich war er damit nicht einverstanden. Seine Arbeit vorher hat den Sinn verloren, die Familie kann selbst arbeiten. Auch seine Existenz verliert den Sinn.

Die Verwandlung wird eines Tages sichtbar. Sie ist Ausdruck des Protestes gegen das bisherige Dasein, gegen die bisherige Lebensweise. Gregor wollte nicht mehr so leben. Etwas Unbewusstes ist ans Tageslicht gekommen.

War das Leben von Gregor menschlich?

Nein. Es gab keine Privatsphäre, so wie er lebt kein normaler Mensch. Gregor hatte eine harte Arbeit, keine Zeit für sich, keine Freunde. Seine Existenz war vollkommen unmenschlich, fast tierisch, ungezieferhaft. In seinem Inneren hat er vielleicht unbewusst protestiert, die Verwandlung hat sich dann äußerlich vollzogen. Er hat schon früher wie ein Ungeziefer gelebt. Er hat wie ein Tier geschuftet und ist zu einem Tier geworden. Er wurde ausgebeutet, erdrückt, hat sich nie beschwert, aber hatte vom bisherigen Leben die Nase voll. Die äußere Erscheinung, die er angenommen hat, entspricht seinem inneren Zustand. Sein Dasein hatte tierische, unmenschliche Züge, was sich veräußerlicht hat.

Die Verwandlung ist nur das Insbildtreten eines längst bestehenden Zustands. Dem ungezieferhaften Wesen seines bisherigen Daseins entspricht nur die äußere Erscheinung. Die Verwandlung eines verborgenen, menschlichen Seins in ein offenbares Sein ist in Kafkas Erzählung nur ein Ausgangspunkt. Jetzt zerbricht Gregors Kraft, die sie Sklaverei des Geschäftslebens erduldet hat. Die Familie hat an dieser Missgestalt mitgewirkt, sie hat ihn ausgebeutet. Man könnte vermuten, dass etwas sich in der Familie ändern wird. Gregors Revolte ist aber erfolglos, ohne Folgen für die Familie geblieben. Nach der Verwandlung unterstützt ihn die Familie nicht, sie will ihn loswerden. Die Familienmitglieder unternehmen nichts. Wenn Gregor nicht arbeiten kann, ist er nicht mehr nötig. Die Verwandlung zerbricht alle Illusionen. Nach seinem Tode herrscht in der Familie ein idyllischer Zustand. Es ist banal, aber Gregors Tod ist die Voraussetzung für die Normalität in der Familie. Erst nach seinem Tode kehrt die Normalität in die Familie zurück.

6.8.12

"Der Process": Auslegungsmöglichkeiten

Allmählich beginnt Josef K. zu denken, dass das Gericht Recht haben muss: vielleicht ist er schuld, vielleicht hat er etwas vergessen. An einem Morgen, an seinem Geburtstag, kommen zu ihm zwei Männer. Sie kennen die Anklage nicht. K. kommt in kein Gefängnis, kann normal arbeiten, aber wird beobachtet. Seine Einstellung der Anklage gegenüber verändert sich. Er erkennt, akzeptiert seine vermeintliche Schuld. Am Anfang versuchte er herauszufinden, was los ist, was man ihm vorwirft, warum er angeklagt wurde. K. versuchte nachzuforschen, mit Menschen zu reden, Bestechungen zu geben. Er dachte, es sei ein Scherz, ein Irrtum, jemand habe ihn mit jemandem verwechselt. Er habe reines Gewissen. Dann hörte er auf zu rebellieren und zu kämpfen. Bis zum Ende weiß er nicht, was er getan hat.

Wie ich schon im Beitrag von gestern erwähnt habe, wird der Prozess absurd durchgeführt. Die Untersuchung findet in einem Mietshaus statt – es gibt kein richtiges Gerichtsgebäude. Das Gerichtswesen ist vollkommen kurios. K. geht von Tür zu Tür, fragt nach, aber es gibt für ihn keine Termine, keine Informationen über die Schuld oder über die Anklage. Das Urteil wird gefällt, die Todesstrafe wird vollgestreckt. K. ist nicht so erschüttert, er hat es erwartet.

Der Protagonist wird als Josef K. dargestellt, weil Personen, die Verdächtige sind, die angeklagt sind, nur mit dem ersten Buchstaben des Nachnamens genannt werden. Man ist sich nicht sicher, ob diese Person schuld ist. Sie ist unschuldig, bis man ihr die Schuld bewiesen hat. Jeder Mensch könnte in K.s Lage sein, an seiner Stelle stehen. Er ist ein Jedermann – ein Mann, der ein Repräsentant aller Menschen sein könnte.

Wie ist der Sinn des Prozesses?

Die religiöse Interpretation: Vielleicht war K. kein guter Mensch. Er ist hochnäsig, beachtet andere Menschen nicht (seine Mitarbeiter oder sein Zimmermädchen). Jeder Mensch trägt irgendwelche Schuld, sündigt. Es gibt keinen Menschen, der reines Gewissen hätte, der nie etwas Schlechtes gemacht hätte. Es geht ebenfalls um das Gerichtswesen – normalerweise kennen wir die Gesetze. Nach dem Tode wird unser Leben zusammengefasst, unsere Taten werden genannt – laut und deutlich. Im Roman von Kafka kennt man keine Gesetze, man wird beschuldigt, ohne zu wissen, was man verbrochen hat.

Die Interpretation in Bezug auf totalitäre Systeme und Kriege: Menschen werden verfolgt, ohne zu wissen warum. Wenn den Menschen vorgeworfen wird, dass sie etwas Schlechtes getan haben, geben sie es letztendlich zu. Sie wollen nicht mehr kämpfen. Während der Kriege werden die Menschen oft in kurzen Prozessen zum Tode verurteilt. Soldaten werden nicht richtig verhört. Das Kriegsgericht handelt dann schnell, auch kurios und absurd. Der Mensch hat keine Chance sich zu wehren, weil die Prozedur nicht durchsichtig ist.

5.8.12

"Der Process": Josef K. - durch das System umzingelt

Josef K. ist Prokurist einer Bank. Sein Vater ist gestorben, seine Mutter taucht nur in einem Fragment auf.

K. ist eine universale Gestalt, Repräsentant vieler Menschen, die etwas Ähnliches treffen könnte, Verkörperung eines durchschnittlichen, gewöhnlichen Menschen. Er ist 30 Jahre alt, ehrlich, gewissenhaft, arbeitsam. Er vertraut auf das Recht, auf die Gesetze. Deswegen begreift er es nicht, warum er verhaftet wird. Er ist beherrscht, ruhig. Allmählich unterliegt er jedoch dem psychischen Druck, wird misstrauisch, aus dem Gleichgewicht gebracht. Am Anfang wirkt er aktiv, sammelt Informationen, nutzt Kontakte, verzichtet auf den Anwalt. Dann wird er sich dessen bewusst, dass seine Handlungen keinen Sinn haben, weil er mit einer auf Lügen gestützten, keine Regeln habenden Organisation zu tun hat. Der Prozess dauert ein Jahr – Josef K. weiß nicht, wessen er verdächtigt wird, wer über ihn Gericht halten wird, nach welchen Gesetzen, wann der Prozess beendet werden kann oder welche Strafe ihm droht. Er lebt im Zustand der Desorientierung, der Dominanz des Gerichts. Er findet keine Schuld, die man ihm zuschreiben könnte, die genug bedeutend wäre, dass das Gericht sich damit beschäftigt. Er kann sein Schicksal nicht beeinflussen, weil er von höheren, geheimnisvollen, rätselhaften Faktoren abhängt. K. verliert das Sicherheitsgefühl, fühlt sich manipuliert, verfolgt, durch das System umzingelt.

Das Gericht ist eine rücksichtslose Institution. Es hat seine Regeln, die für die Personen außer diesem Kreis nicht zu begreifen sind und nichts mit der Gerechtigkeit zu tun haben. Der Mensch verliert das Sicherheitsgefühl und die Würde. K. weiß nicht, wessen er verdächtigt wird und deswegen kann er sich nicht verteidigen. Scheinbar ist er frei, aber in Wirklichkeit befindet er sich in der Macht einer fremden, unbekannten, schrecklichen Institution. Die Beamten sind rücksichtslos, entschieden, begehen Rechtsmissbrauch.

An einem Sonntag findet das Verhör statt. Josef K. kann in den richtigen Saal nicht gelangen, er kennt die Zeit des Verhörs nicht. Es ist eine Gelegenheit dazu, ihn zu tadeln. Das Publikum besteht aus den Mitarbeitern des Gerichts. Sie wollen das Vertrauen des Angeklagten wecken, ihn zur Offenheit bringen. Als K. zu verstehen beginnt, wer diese Menschen sind, fühlt er sich immer mehr dominiert und erdrückt. Der Untersuchungsrichter weiß nicht genau, wer K. ist. Die Anwälte denken nur an Geld. Es liegt nicht in ihrem Interesse, den Prozess schnell zu beenden. Sie engagieren sich nicht genügend in die Verteidigung ihrer Kunden, verzögern den Prozess. Sie haben das Überlegenheitsgefühl, weil die einfachen Menschen das Gesetz nicht kennen. Die Anwälte dürfen an Verhören nicht teilnehmen. Über Sachen, die sie interessieren, über Eindrücke der Richter erfahren sie während inoffizieller Gespräche im juristischen Milieu. K.s Verteidigungsversuch, seine Rede haben im Grunde genommen keinen Sinn, denn „vor diesem Gericht kann man sich nicht verteidigen“.

Der Angeklagte hat keine Rechte, er kann mit dem System nicht gewinnen, das einem Netz geheimer Verbindungen ähnelt. Das Individuum ist im Voraus zum Scheitern verurteilt. Es kann sich den rücksichtslosen, korrumpierten, unmoralischen Beamten nicht widersetzen. Josef K. hat kein Recht auf Verteidigung. Die Verhaftung erweckt Unruhe, das Verhör am Sonntag ist untypisch für eine Institution. Außerdem wird K. plötzlich vor Gericht geladen (auch in der Nacht).

Die Gerichtsakten werden gestohlen, die Prozesse sind geheim, die Verfahren sind kompliziert. Das Gericht nimmt gerne solche Argumente an, die einen inoffiziellen Charakter haben – man sollte sich also um entsprechende Bekanntschaften bemühen, großzügig die Anwälte bezahlen und demütig sein. Die einzige Art und Weise der Verteidigung sind Ausweichmanöver, Kombinieren, Verzögerung. Das Gericht gibt keine Erklärungen an, behandelt Interessenten wie dumme Wesen, die nichts verstehen oder nichts wissen sollten. Das dient der Dominanz. Man sagt den Angeklagten, dass sie ausnahmsweise mild und gut behandelt werden – sie sollten also dankbar sein (Drohung, dass es noch schlechter werden kann). Die Verhafteten haben eine scheinbare Freiheit – sie können arbeiten, sich mit Bekannten treffen, aber in Wirklichkeit sind sie eingeschüchtert, psychisch abgeschwächt. Sie denken nur an den Prozess und sind nicht fähig dazu, berufliche Pflichten zu erfüllen und normales Privatleben zu führen. Sie können in der Gesellschaft nicht normal funktionieren.

4.8.12

"Der Tod in Venedig": Der Untergang eines Künstlers

„Der Tod in Venedig“ ist das Schlüsselwerk zum Verständnis von Thomas Mann. Der Schriftsteller hat geplant, einen Ausbruch der Leidenschaft bei einem großen Künstler zu beschreiben. Es sollte Goethe sein, der Titel sollte lauten „Goethe in Marienbad“. Das Konzept hat Mann später verändert. Viele Literaturwissenschaftler identifizieren den Komponisten Gustav Maler mit Aschenbach.

Es ist eine Geschichte des Untergangs eines angesehenen Schriftstellers, des Niedergangs des bürgerlichen Lebens. Arbeitsethos und alle Ideale, die Aschenbach verkörpert hat, gehen zugrunde. Die Prinzipien seines bürgerlichen Lebens, sein Künstlerethos gehen zugrunde. Aschenbach war früher ein Inbegriff der Würde. Die Novelle stellt einen fortschreitenden Prozess der Entwürdigung – als Mensch und Künstler.

Im Werk wird das Apollinische dem Dionysischen gegenübergestellt – es sind zwei Prinzipien, die im Widerspruch zueinander stehen. Das Apollinische ist das Schöne, Kunstvolle, Künstlerische, Wahre, Geistige, Universelle, Harmonievolle, Rationale. Das Dionysische ist das Sinnliche, Rauschvolle, die Sexualsphäre, die Leidenschaften, die Triebe, alles, was mit dem Körper und Genuss zu tun hat – diese Sphäre bringt Aschenbach das Verderben.

In der Novelle wird der apollinische und der dionysische Künstler definiert:

Der apollinische Künstler ist an dem Schönen und Harmonievollen interessiert. Das Apollinische manifestiert sich vor allem in der bildenden Kunst – in der klaren Formgebung, in der vollkommenen, idealen, klassischen Schönheit, im Ebenmaß.

Der dionysische Künstler sucht in seiner Kunst den Rausch, ekstatische Zustände, das Übermaß.

Im Mai fährt Aschenbach mit einem Nachtzug nach Triest, dann nach Pola, nach anderthalb Wochen nach Venedig. Er hat Urlaube aus Gesundheitsgründen immer im Norden gemacht – es war eine Hygienesache. Er hat immer das gemacht, was er tun soll. Im Süden sind Menschen jedoch freizügiger, zeigen Emotionen. Venedig hat außerdem als eine Stadt des Verfalls funktioniert.

Er übernachtet in einem Bäder-Hotel. Er beobachtet eine polnische Familie: drei Mädchen (15-17 Jahre alt), ein Knabe (vielleicht 14), die Mutter und eine Gouvernante. Der Knabe ist vollkommen schön, sein Aussehen erinnerte an griechische Bildwerke aus edelster Zeit. Die Mädchen haben klösterliche Trachten, sind bescheiden, keusch. Der Knabe trägt ein Matrosenkostüm. Aschenbach ist beglückt, er lauscht auf die Stimme des Knaben, bewundert sein Aussehen. Tadzio ist am Anfang nur ein ästhetisches Phänomen, perfekt wie ein junger Gott – Apoll. Es war ein Interesse eines Künstlers an einem Kunstobjekt, eine ästhetische Faszination eines Künstlers von einem schönen Gegenstand.

Venedig ist Aschenbach bei dieser Witterung höchst schädlich. Er will mit einem Dampfboot abreisen. Sein Koffer ist schon nach Como aufgegeben worden, aber er kehrt zurück. Der Abschied ist um Tadzios willen so schwer. Er verfolgt ihn, trifft ihn überall. Tadzio scheint ihm göttlich, er will in seiner Gegenwart arbeiten, mit ihm eine Bekanntschaft schließen, sitzt und schaut ihn an, erwartet ihn täglich. Einmal lächelt der Knabe ihn an: „sprechend, vertraut, liebreizend, unverhohlen“, „das Lächeln des Narziß“. Tadzio merkt, dass er beobachtet wird und es gefällt ihm. Zu einem näheren Kontakt kommt es nie.

Früher hat Aschenbach eine bestimmte Lebensweise repräsentiert – Arbeit als Dienst für Gemeinschaft. Er war ein Genie des Willens, hatte einen starken Willen, um zu schaffen, um seinen Lebensstil beizubehalten. Er war die ganze Zeit im Kampf mit sich selbst, damit seine Triebe nicht an die Oberfläche kommen. Seine Prinzipien waren Selbstbeherrschung, Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein, preußische Tugenden. Die Würde war die oberste Priorität – das künstlerische Schaffen muss mit Würde zusammenhängen.

Seine Arbeit ist Aschenbach nach einer gewissen Zeit nicht mehr wichtig. Seine Einstellung zum Leben ändert sich: man muss das Leben genießen. Sein früheres Leben wirkt langweilig, uninteressant. Er denkt nicht mehr an die Pflichten und reagiert auf die von Tadzio ausgehende erotische Wirkung. Nur er zählt für ihn. Er will ihn beobachten, mit ihm Zeit verbringen. Sein Tagesablauf ändert sich, so wie Normen und Werte, die er gepflegt hat.

Eine ästhetische Faszination entwickelt sich zu einer homoerotischen Faszination. Die Entwicklung ist sehr schnell und Aschenbach ist sich dessen bewusst. Er versucht diese Entwicklung zu rechtfertigen. Diese Faszination bewirkt, dass er wieder schreiben kann. Er ist dann der Meinung, dass die zwei Sphären des Lebens – die geistige und die sinnliche – zu verbinden wären. In ihm hat ein richtiger Kampf stattgefunden, er hat versucht zu fliehen, sich zu retten.

2.8.12

"Der Tod in Venedig": Wer ist Gustav von Aschenbach?

Gustav von Aschenbach – 50 Jahre alt, Schriftsteller, Dichter, lebt in München, graue Haare, mager, mittelgroß, bartlos, brünett, trägt eine Goldbrille.

Er suchte das Freie, Luft, Bewegung, empfand Reiselust, Fluchtdrang, die Sehnsucht ins Ferne und Neue, Begierde nach Befreiung und Vergessen, Enge seines Alltags, seines Dienstes. Er hat niemals Europa verlassen. Er empfand „Künstlerfurcht, nicht fertig zu werden“.

Er hatte vor, sein Werk bis zu einem bestimmten Punkt zu fördern und sich auf dem Lande niederzulassen. Er hatte Angst vor dem Sommer auf dem Lande, allein in dem kleinen Hause mit der Magd und dem Diener.

Aschenbach ist Autor der mächtigen Prosa – Epopöe vom Leben Friedrichs von Preußen, Roman „Maja“, Erzählung „Ein Elender“, Abhandlung „Geist und Kunst“. Er ist berühmt, Teile seiner Werke sind in die Schulbücher eingegangen. Er erfreut sich großer Anerkennung und Popularität. Aschenbach ist wie ein Nationalschriftsteller, man kennt ihn in ganz Europa.

Er verkörpert preußische Tugenden: strenge Regeln, die man beachten musste, strenge Erziehung, Disziplin, Arbeit, „Zucht“ – ein wichtiges Wort – man versteckt eigene Wünsche, Triebe, sie mussten verborgen bleiben. Man erzieht einen Menschen auf eine bestimmte Art und Weise, damit er dem Dienst nachgehen kann.

Aschenbach ist zu L., einer Kreisstadt der Provinz Schlesien, als Sohn eines höheren Justizbeamten geboren. Seine Mutter war Tochter eines böhmischen Kapellmeisters.
Sein ganzes Wesen war auf Ruhm gestellt, schon als Gymnasiast besaß er einen Namen. Er hat niemals den Müßiggang oder die sorglose Fahrlässigkeit der Jugend gekannt. Er war kränklich und besuchte die Schule nicht, sondern lernte zu Hause. Schon als Kind wurden ihm hohe Anforderungen gestellt. Er hatte Pflichten, die er erfüllen musste.

Nach einigen Jahren der Versuchsaufenthalte wählte er München zum dauernden Wohnsitz und lebte dort in bürgerlichem Ehrenstande. Gustav schloss die Ehe mit einem Mädchen aus gelehrter Familie. Seine Ehefrau starb nach kurzer Zeit. Seine Tochter war verheiratet, einen Sohn hatte er nicht.

Aschenbach ist diszipliniert, arbeitsam, einsam, erreichte Ruhm und Größe, ist angesehen. Er ist stolz auf seine Leistungen. Er hat Angst vor Einsamkeit, keinen Glauben, dass man ihn lieben könnte. Er widmet sich der Arbeit, steht früh auf. Er versucht zu schreiben, hat jedoch eine Schaffenskrise. Das Schreiben macht ihm keinen Spaß. Das Kunstschaffen ist zum Dienst stilisiert – Dienst der Gemeinschaft, eine soziale und politische Aufgabe. So versteht er seine Arbeit. Mit diesem Bewusstsein steht er jeden Tag auf. Das ganze Leben lang zwingt er sich zum Schreiben.

Aschenbach ist kränklich im psychischen und körperlichen Sinne. Er ist sich dessen bewusst, dass er eine verborgene Schicht in sich hat – die Leidenschaft, die eines Tages ausbrechen muss. Er muss verdrängte Triebe unter Kontrolle haben. Er muss darauf achten, dass die Triebe nicht auf die Oberfläche kommen. Am wichtigsten sollten Dienst und Arbeit sein.

Sehr oft gebraucht Aschenbach solche Worte wie „trotzdem“, „durchhalten“, „Zucht“, „Gesellschaft“, „Gemeinschaft“. Die Gesellschaft ist etwas Künstliches, Aufgezwungenes. Die Gemeinschaft wäre dagegen etwas Organisches, Natürliches, eine Menschengruppe, die zusammenhängt und in der jedes Mitglied wie ein Körperteil ist. Die einzelnen Mitglieder haben andere Aufgaben, aber bilden zusammen eine Einheit.