Marinelli ist Kammerherr des Prinzen. „Kammerherr“ ist ein Amt, das bei Hofe ausgeübt wird. Es ist ein persönlicher Diener, der dem Herren zur Hand geht, ihm beim Verreisen hilft, Gäste anmeldet, bei Spielen Gesellschaft leistet. Er steht unter dem Oberkammerherrn und bekommt Hilfe von Kammerjungen.
Wird Marinelli seinem Berufsbild gerecht? Entspricht er diesem Verständnis?
Ist er ein typischer Kammerherr?
Marinelli ist ein ständiger Begleiter des Prinzen, hat seine Leute (z.B.
Angelo). Er macht das, was der Prinz ihm sagt, was der Prinz möchte. Er nimmt Gäste
zur Audienz an, bringt sie wieder zur Tür. Marinelli berät seinen Herrn, aber
er lenkt ihn zugleich, macht im Prinzip mehr, als nur bereit zu stehen. Seine
Aufgaben als Kammerherr erfüllt er voll und ganz. Er erfüllt seine Funktion,
aber ist mehr als nur ein Kammerherr.
Ihm ist wichtig, in der oberen Schicht zu leben - wichtiger als Glück und
Liebe. Politik ist ihm bedeutender als Gefühle. Er strebt nach Macht, nach
Reichtum, ist gefühlskalt. Seine Hofkarriere ist ihm wichtig und er nutzt den
Prinzen für seine Interessen. Er scheut nicht davor, zu morden. Er plant alles
selber, nutzt die Mechanismen des höfischen Lebens, instrumentalisiert andere
Menschen.
Der Prinz lässt ihn alles unternehmen, um die Hochzeit zu verhindern (I, 6):
Marinelli: […] Wollen Sie mir freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles
genehmigen, was ich tue?
Der Prinz: Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann.
Man kann herauslesen, dass der Prinz Marinelli sehr vertraut. Marinelli
sagt das, was der Prinz hören will. Er darf nicht alles aussprechen, was er
denkt. Am Anfang wird der Prinz ihm nicht anvertrauen, aber dann gibt er ihm
freie Hand. Die beiden bekennen sich einander oberflächlich die Freundschaft.
Der Prinz macht sich Gedanken: „Warum will ich mich auch auf ihn allein
verlassen?“ (I, 7) Dann begibt er sich in die Kirche, um dort Emilia seine Gefühle
zu gestehen.
Der Prinz vertraut Marinelli nicht blind, es ist Zwangsvertrauen. Beide
sind unaufrichtig. Dieses Vertrauen ist brüchig, es wird vorgespielt. Marinelli
bemüht sich, beim Prinzen gut dazustehen, aber letztendlich geht es ihm um
eigene Interessen und um seine Stellung am Hof, die von dem Prinzen abhängig
ist. Aus diesem Grunde unterwirft er sich ihm. Man kann sagen, dass der Prinz
und Marinelli sich gegenseitig ausnutzen.
Marinelli hat keinen rigorosen Tugendbegriff: „Waren, die man aus der
ersten Hand nicht haben kann, kauft man aus der zweiten“ (I, 6) (er meint die
Frauen).
Marinelli heuchelt eine Freundschaft mit Appiani vor: „Ich war von jeher
des Grafen Freund; sein vertrautester Freund“ (III, 8). Er ist heuchlerisch,
intrigant. Man kann ihn als einen Opportunisten bezeichnen. Er versucht, jede
Gelegenheit zu seinen Gunsten auszulegen. Er benutzt alle Mittel, um seine
eigene Position besser darstellen zu lassen. Marinelli ist ein intriganter,
opportuner Mensch, der manipulativ mit seinem Umfeld umgeht, um seine Ziele (den
Machtzuwachs) zu erreichen. Er wird jedoch durchschaut, als Claudia Galotti
sich erinnert, dass sein Name das letzte Wort des sterbenden Grafen war.
Camillo Rota, einer von des Prinzen Räten, ist Marinellis Gegenteil – die
beiden sind unterschiedlich in Ziel und Absicht. Rota zeigt Gefühle, achtet auf
seine Aufgaben, ist nachdenklich, unterschwellig. Er setzt seinen eigenen
Verstand über den des Prinzen und übt dadurch indirekt Kritik am höfischen
Leben aus, umgeht die höfische Maschinerie. Weil der Prinz in seinen Gefühlen
schwankt, ist seine Urteilsfähigkeit eingeschränkt und er ist bereit, ein
Todesurteil voreilig, unüberlegt zu unterschreiben. Camillo Rota verhindert das
Negative: „Ich hätt es ihn in diesem Augenblick nicht mögen unterschreiben
lassen, und wenn es den Mörder meines einzigen Sohnes betroffen hätte“ (I, 8).
Als der Prinz vom Tode des Grafen erfährt, behauptet Marinelli, er habe den
Mord nicht geplant: „Als ob sein Tod in meinem Plane gewesen wäre! Ich hatte es
dem Angelo auf die Seele gebunden, zu verhüten, dass niemanden Leides geschähe“
(IV, 1). Marinelli zeigt sich gefühlskalt: „Der Tod des Grafen ist mir nichts
weniger als gleichgültig. Ich hatte ihn ausgefordert; er war mir Genugtuung
schuldig, er ist ohne diese aus der Welt gegangen, und meine Ehre bleibt
beleidiget“ (IV, 1).
Als Emilia tot ist, bittet er nicht um Verzeihung. Er leugnet seine Schuld
und sieht, dass sein Plan gescheitert ist. Er ist fassungslos über seine
Situation, kann nicht glauben, was passiert ist. Es ist für ihn schwer zu
fassen, dass sein zusammengefaltetes Gespann gescheitert ist. Dass Emilia
bereit war, sich zu opfern, war nicht vorschaubar. Marinelli stößt an die
Grenzen seines Weltbildes (er hatte ein extrem rationales Verständnis von Welt
und Menschen), ist vor allem enttäuscht über die missglückte Intrige.
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