Wilhelm Hauff gehört schon seit einigen Jahren zu meinen Lieblingsschriftstellern. Warum? Darüber schreibe ich in diesem Beitrag, der eine Einführung in meine Erwägungen über Hauff bildet.
Wilhelm Hauff (1802-1827)
(gutenberg.spiegel.de)
Mein Text / mój autorski tekst:
Mit dem Namen Wilhelm Hauff werden unverwechselbare Märchengestalten assoziiert. Der Dichter war jedoch zeitlebens wegen seiner Romane, Satiren und Novellen bekannt, während gerade die Märchen kaum beachtet wurden. Hauff wurde nur 25 Jahre alt und seine zwei letzten Lebensjahre zeichnen sich durch eine ungewöhnliche Produktivität aus – in der Spanne von zwei Jahren veröffentlichte er ein umfangreiches Werk. In seiner Wirkungsgeschichte manifestieren sich immer wieder zwei Bewertungsmuster:
Einerseits rankt sich um Hauff die Legende vom begnadeten Dichterjüngling, dem in traumwandlerischer Sorglosigkeit „ein kaum faßbares Schaffenswunder“ gelungen sei. Andererseits wird ihm eine skrupellose Anpassung an den herrschenden Modegeschmack unterstellt; um den Preis der „Viel- und Leicht-Schreiberei“, rügt etwa ein Nachruf, habe es der Verstorbene darauf angelegt, „ein Beliebter, ein Belletrist des Tages zu werden (HINZ 1989: 7-8).
Hauffs Selbstzeugnisse zeigen einen eigenwilligen Dichter, der sich auf der Suche nach neuen Erzählformen befindet.
Wilhelm Hauff wurde am 29. November 1802 in Stuttgart geboren. Seine Eltern entstammten der städtischen Oberschicht, der sog. Ehrbarkeit. Sein Vater August stand in Regierungsdiensten. Wilhelm hatte vier Geschwister: den älteren Bruder Hermann und zwei jüngere Schwestern, Marie und Sophie. Die Familie lebte in Stuttgart und in Tübingen. Der Tod des Vaters 1808, ein herber Verlust für die Familie, zieht mit sich den Umzug nach Tübingen, weil der Lebensunterhalt dort weniger kostspielig war. Hauffs Mutter besaß eine lebhafte Phantasie und eine besondere Erzählgabe. Sein Großvater mütterlicherseits, Karl Friedrich Elsässer, hatte eine schöne Bibliothek, in der Wilhelm von klein auf zuerst spielte, dann auch zum lesenden Gebrauch der Büchersammlung überging. Sein jugendliches Lesefieber schlug sich in stundenlanger Lektüre von Romanen und Historienbüchern nieder – mit 14 hatte er die gesamte belletristische Literatur seines Großvaters durchgelesen.
Wilhelms älterer Bruder, Hermann, der musterhafte Schüler, sollte die Universität besuchen, und der minder talentierte Sohn musste sich für eine Pfarrerausbildung auf Staatskosten1 entscheiden, die jedoch eine Möglichkeit des Studiums eröffnete. Im Herbst 1817 trat er ins Klosterseminar Blaubeuren auf der Schwäbischen Alb ein. Hauff hielt das Klosterleben für eintönig und langweilig:
Es dreht sich alles im alten Kreise, und ich komme mir oft vor wie ein Färbergaul, der im ewigen Kreislauf immer wieder an den oft betrachteten Gegenständen hingetrieben wird. Es ist doch ein verflucht langweiliges Leben, das Klosterleben (zit. nach HINZ 1989: 16).
Das Einerlei dieses Lebens motivierte Hauff zum Schreiben – damals entstanden seine ersten Prosaaufzeichnungen, die jedoch nicht mehr rekonstruierbar sind. Wilhelm war weder in der Elementarschule noch im Seminar ein fleißiger Schüler. Seit dem Winter 1819/20 erwacht jedoch schulischer Arbeitseifer in ihm – er hegt die Absicht, ein Jahr früher als üblich auf die Universität entlassen zu werden (vgl. ebd., 7-17).
Im Wintersemester 1820/21 nimmt er das Theologiestudium in Tübingen auf und nutzt voll die Möglichkeiten einer geisteswissenschaftlichen Ausbildung – regelmäßig war er einer der Stipendiaten. Er schätzte vor allem das Wissen, das die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben garantierte. Sein studentisches Leben war im Unterschied zur Monotonie des Seminars ziemlich abwechslungsreich. Hauff hatte größere Spielräume für seine Interessen und Aktivitäten, engagierte sich in die burschenschaftliche Bewegung und wirkte an deren Veranstaltungen mit. Während des Studiums verfasste er witzige Gelegenheitsgedichte und satirische Prosatexte, die er im Freundeskreis präsentierte. So entschied er sich für die schriftstellerische Laufbahn. Zugleich hoffte er auf die Anstellung im Pfarrberuf. Im Oktober 1823 lernte er bei einem Besuch in Nördlingen seine 17-jährige Cousine Luise Hauff, der er seitdem regelmäßig Briefe schrieb. Zu Ostern 1824 kam es zur Verlobung.
Für Hauff endet eine Epoche, indem er im September 1824 seine Abschlussprüfung besteht – das Tübinger Studentenleben geht zu Ende, nachdem der hochschulpolitische Konflikt sich drastisch zugespitzt hat und Preußen und Österreich den Besuch der Tübinger Universität verboten haben. Die Pressezensur wird verschärft und die Studentenverbindungen werden aufgelöst. Hauff gibt seiner Meinung darüber in der Novelle „Das Bild des Kaisers“ sowie in den „Memoiren des Satan“ Ausdruck. In den „Phantasien im Bremer Rathskeller“ äußert er seine Sehnsucht nach den Burschenjahren (vgl. ebd., 18-30).
Nach seinem Examen plante er so schnell wie möglich eine feste Anstellung zu finden, um heiraten zu können. Jedoch seine Lehrer und Freunde hatten ihn vor der provinziellen Enge eines ländlichen Pfarrhauses gewarnt, so dass Hauff ein Angebot der Stuttgarter Familie von Hügel akzeptierte. Eineinhalb Jahre, vom November 1824 bis April 1826, arbeitete er als Hauslehrer zweier Söhne von Ernst Eugen Freiherr von Hügel und seiner Frau Luise Freiin von Gemmingen. Hier lernte er das Adelsmilieu kennen, in dem sich die meisten seiner späteren Gesellschaftsnovellen abspielen.
Zu diesem Zeitpunkt kommt Hauffs schriftstellerische Karriere in Schwung – schon 1824 gab der Stuttgarter Metzler-Verlag seine Sammlung „Kriegs- und Volkslieder“ heraus, die neben Gedichten von Goethe, Schiller, Ernst Moritz Arndt auch Soldatenlieder eigener Produktion enthielt, u.a. „Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod?“. Als Hauslehrer verfügte Hauff über überaus viel Zeit, so dass er sie für die Realisierung seiner Buchprojekte nutzen konnte. Mit den Märchen unterhielt er seine zwei Schüler. Innerhalb eines Jahres publizierte er sieben Bände Erzählprosa, wozu ihn die Baronin von Hügel ermunterte. Die Publizität erlangte Hauff mit den „Mittheilungen aus den Memoiren des Satan“ (1825). Die Leserschaft war hingerissen und das Werk erhielt zahlreiche wohlwollende Rezensionen, u.a. diese im Stuttgarter „Literatur-Blatt“, die sich als besonders verkaufsfördernd erwies (vgl. ebd., 31-40).
Hauffs bisherige Popularität wurde übertroffen, als er den Roman „Der Mann im Mond oder Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme“ veröffentlichte. Er wurde im Herbst 1825 unter dem Namen des Erfolgsautors H. Clauren herausgegeben. Es war der preußische Hofbeamte Carl Heun, der seit über zehn Jahren unterhaltende Romane und Erzählungen publizierte. Der Roman wurde als Parodie rezipiert, während Hauff eher eine virtuose Nachahmung (ebd., 44) bezweckte. Die Kritiker haben ihm vorgeworfen, den „Mann im Mond“ nicht deutlich genug als Parodie markiert zu haben. Der parodierte Carl Heun reichte beim Stuttgarter Kriminalamt eine Beleidigungs- und Betrugsklage ein. Die Leserschaft erwartete spannungsvoll den Ausgang des Verfahrens. „Der Mann im Mond“ verkaufte sich wegen des juristischen Wirbels nur besser. Letztendlich wurde Hauffs Verleger, Gottlob Franckh, zu 50 Talern Geldbuße verurteilt, außerdem musste er zusätzlich 300 Gulden Verfahrenskosten tragen. Im zweiten Teil der „Mittheilungen aus den Memoiren des Satan“, im „Vorspiel“ berichtet der fiktive Herausgeber, er sei vom Teufel beim Kriminalgericht wegen einer Namensfälschung angeklagt worden:
Er behaupte nämlich, ich habe seinen Namen Satan mißbraucht, um ihm eine miserable Scharteke, die er nie geschrieben, unterzuschieben; ich habe seinen literarischen Ruhm benützt, um diesem schlechten Büchlein seinen schnellen und einträglichen Abgang zu verschaffen (zit. nach HINZ 1989: 47).
Es muss kursorisch erwähnt werden, dass Hauff sich selbst zum Märtyrer literarischer Freiheit stilisierte, obwohl er mir dem Gerichtsverfahren unmittelbar nichts zu tun hatte. Durch die Affäre ist er berühmt geworden (vgl. ebd., 41-52).
Noch bis Ende April 1826 stand Hauff in Diensten der Familie von Hügel. Das Hauslehreramt war für ihn eine Nebentätigkeit, das Schreiben wurde zur Hauptsache. Obwohl der Debütant sich eine gewisse Tagesberühmtheit verschafft hat, musste er sich im literarischen Betrieb erst etablieren, um vom Ertrag seiner Feder zu leben, zumal er die Gründung einer Familie plante. Darüber hinaus bevorzugte er seitdem die von dem Lesepublikum favorisierten Erzählgattungen. Bis Frühling 1826 entstanden zwei Novellen und der dreibändige historische Roman „Lichtenstein“. Die europäische Romanliteratur zwischen 1820 und 1830 stand im Zeichen des schottischen Erzählers Walter Scott. Ihm ist die Öffnung des Romans für historische und politische Ereignisse zu verdanken. So beschloss Hauff, einen historischen Roman in Scotts Manier zu verfassen:
Mein Entschluß stand fest; einen historischen Roman à la Walter Scott mußt du schreiben, sagte ich zu mir, denn nach allem, was man gegenwärtig vom Geschmack des Publikums hört, kann nur diese und keine andere Form Glück machen (zit. nach HINZ 1989: 55).
Hauff fragt im Vorwort des „Lichtenstein“, warum sich die deutschen Schauplätze nicht ebenso gut wie die englischen eignen sollten:
Oder haben vielleicht die Berge von Schottland ein glänzenderes Grün, als der teutsche Harz, der Taunus und die Höhen des Schwarzwaldes; ziehen die Wellen des Tweed in lieblicherem Blau als der Neckar und die Donau, sind seine Ufer herrlicher als die Ufer des Rheins? (ebd.).
Hauff siedelte die Ereignisse des Romans im vertrauten Regionalraum an. Die Darstellung kultureller Eigentümlichkeiten, getreue Orts- und Landschaftsschilderungen, die okkasionelle Verwendung der schwäbischen Mundart verleihen dem Roman einen Eindruck hoher Authentizität. „Lichtenstein“ hatte einen langanhaltenden und außergewöhnlichen Erfolg. Obwohl die „romantische Sage“, wie Hauff den Roman im Untertitel genannt hatte, literarische Schwächen enthält, konnten sie seinem Ruhm keinen Abbruch tun. Auch die Novelle „Jud Süß“ greift Ereignisse der württembergischen Geschichte auf – ein Konflikt zwischen der absolutistischen Willkür des katholischen Landesherrn und der protestantisch-bürgerlichen Opposition wird gezeichnet. Der Protagonist trägt klischeehafte Züge des antisemitischen Judentypus. Unter späteren Hauffs Novellen sind vor allem „Das Bild des Kaisers“ sowie „Die letzten Ritter von Marienburg“ erwähnenswert. Dank dem Erfolg seines Romans und seiner Novellen erhielt Hauff 1825/1826 zahlreiche Novellenaufträge. Er begann, mit dem Gedanken einer Bildungsreise zu liebäugeln (vgl. ebd., 53-65).
Das Ziel der Bildungsreise war kein Vergnügen, vielmehr war es ein die Erziehung und Lektüre ergänzendes Bildungsmittel. Während seines Aufenthaltes bei Familie von Hügel hatte Hauff etwa 1000 Gulden zusammengespart. Den ersten Teil der Reise, den Besuch Frankreichs und der Niederlande konzipierte er als reine Studienreise, während er im Laufe von anschließender Route durch Nord- und Mitteldeutschland zahlreiche Kontakte zu literarischen Geschäftspartnern anzuknüpfen oder aufzufrischen plante. Mitte Mai 1826 kam er in Paris an. Seine ersten Eindrücke französischer Lebensart waren positiv. Er besuchte sämtliche Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt und der Umgebung. Hauff bemühte sich, mit einheimischen Familien Bekanntschaften zu machen und so die Pariser Gesellschaft von innen kennen zu lernen. Trotzdem gelangte er über den Status des separierten Touristen nicht hinaus und bekam fast nur zu anderen Deutschen Kontakt. In dieser Zeit arbeitete er mit eiserner Disziplin und so entstanden vier Erzählungen des zweiten „Mährchenalmanach“ sowie seine längste Novelle „Die Bettlerin vom Pont des Arts“ und wesentliche Teile der „Phantasien im Bremer Rathskeller“. In der zweiten Juliwoche begab er sich in die südlichen Niederlande, um ferner Ende Juli bei Aachen die Grenze des Deutschen Bundes wieder zu erreichen. In Aachen traf er sich mit seinem Verleger Gottlob Franckh, das Gespräch war jedoch ergebnislos. Hauff konnte es sich leisten, Franckh die kalte Schulter zu zeigen, weil der hochangesehene Stuttgarter Verleger Friedrich von Cotta ihm die Redaktion seines „Taschenbuch für Damen“ anbot und Beiträge für das „Morgenblatt“ vorschlug. Seine nächsten Reisestationen waren Bremen (wo sich mehrere seiner ehemaligen Kommilitonen beruflich niedergelassen hatten), Hamburg, Berlin und Leipzig. Mitte November kam er in Nördlingen an, wo er sich mit seiner Verlobten Luise traf. Am 1. Dezember traf er in Stuttgart ein. Rückblickend bezeichnete Hauff seine Reise als eine Art und Weise, den Erfahrungshorizont erweitert zu haben und sich in weitläufiger Bildung vervollkommnet zu haben.
Nach der Reise beginnt in seinem Leben eine neue Etappe – vom 1. Januar 1827 wird er an die Redaktion des „Morgenblatt für gebildete Stände“ übertragen. Jede Region des Deutschen Bundes verfügte über ihr eigenes belletristisches Journal und „Morgenblatt für gebildete Stände“ war eine traditionsreiche und die wichtigste Unterhaltungszeitschrift des süddeutschen Raums. Am 13. Februar heiratete er seine Cousine Luise Hauff. Während seiner Arbeit als Redakteur geriet er in einen Konflikt mit seinem Verleger Cotta wegen seines spontanen Eingriffs. Hauff klagte oft über einen zu engen redaktionellen Spielraum (vgl. ebd., 66-109). Im Spätsommer 1827 unternahm er eine Reise, die mit seinem neuen Romankonzept verbunden war. Schon davor klagte er sich über Fieber. Hermann Hauff, von seiner Ausbildung her Mediziner, suchte die Krankheit zu bekämpfen. Nach einer vorübergehenden Besserung trat ein schwerer Rückfall ein. Am 10. November erleidet Luise Hauff eine schwere Geburt – die Tochter Wilhelmine wird geboren. Acht Tage danach war Wilhelm Hauffs Todeskampf zu Ende. Er wurde auf dem Stuttgarter Hoppenlau-Friedhof beigesetzt.
Wilhelm Hauff ist in die Literaturgeschichte vor allem als Märchenerzähler eingegangen. Die Märchen sind heute der weitaus bekannteste Teil seines Werks. Zu seinen Lebzeiten standen die Märchen allerdings im Schatten anderer Arbeiten und wurden so gut wie nicht beachtet. Im Frühling 1825 bot Hauff das Manuskript des „Mährchenalmanach auf das Jahr 1826 für Söhne und Töchter gebildeter Stände“ dem Stuttgarter Metzler-Verlag an. Dabei hat er erwähnt, daß die Idee eines solchen Almanachs neu und besonders in höhern Ständen vielleicht nicht unwillkommen ist (zitiert nach HINZ 1989: 110). Nach dem Vorbild der „Märchen aus tausendundeiner Nacht“ verband er in einem „Märchenalmanach“ vier bis acht Erzählungen jeweils durch eine Rahmenhandlung. Die drei Zyklen „Die Carawane“, „Der Scheik von Alessandria“ und „Das Wirthshaus im Spessart“ enthalten Geschichten, die ineinander so verwoben sind, dass Figuren der einen Erzählstufe in die jeweils andere überwechseln. Hauffs Märchen sind motivisch sehr verschieden: humoristische Zaubermärchen wie „Kalif Storch“ finden sich neben didaktischen Parabeln wie dem „Mährchen vom falschen Prinzen“. Unter den interessantesten Märchentypen sind vor allem eine blutrünstige Kriminalstory „Die Geschichte der abgehauenen Hand“, eine schottische Sage „Die Höhle von Steenfoll“, ein Schauermärchen vom „Gespensterschiff“, eine Kleinstadt- und Spießbürgersatire „Der Affe als Mensch“ oder eine reine Abenteuergeschichte „Errettung Fatmes“ zu nennen. So rechtfertigt Hauff diese abwechslungsreiche Vielfalt in der Rahmenerzählung „Der Scheik von Alessandria“:
(…) Von dieser Art ist nun das Märchen; fabelhaft, ungewöhnlich, überraschend; weil es dem gewöhnlichen Leben fremd ist, wird es oft in fremde Länder oder in ferne, längst vergangene Zeiten verschoben… ganz anders ist es aber mit den Erzählungen, die man gemeinhin Geschichten nennt. Diese bleiben ganz ordentlich auf der Erde, tragen sich im gewöhnlichen Leben zu, und wunderbar ist an ihnen meistens nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der nicht durch Zauber, Verwünschung oder Feenspuk, wie im Märchen, sondern durch sich selbst, oder die sonderbare Fügung der Umstände reich oder arm, glücklich oder unglücklich wird (zit. nach HINZ 1989: 113).
Hauff ist bestrebt, den größtmöglichen Effekt auf Leser zu erreichen. Dazu dient eine plastische, sinnlich konkrete Sprache, die vor die Augen des Lesers die üppige Pracht eines Palasts oder eine arme Köhlerhütte stellt. Die Suggestivkraft seiner Märchenwelt wirkt um so authentischer, weil Details, Mahlzeiten, Gebräuche, Interieurs, Gewänder anschaulich beschrieben werden. Orientalische Schauplätze wechseln mit abendländischen. Viele Märchen tragen heimatlich-süddeutsches Kolorit. Diese Hinwendung zum genau lokalisierten Schauplatz bewirkt einen höheren Grad an Realismus. Milieuschilderung in Verbindung mit einer glaubhaften Märchenstruktur machen die Kunstmärchen des Dichters zu wahren Meisterwerken. Hauff deutet die Theorie des Märchens als eine Theorie des Erzählens. Ausgangspunkt sind elementare Kindheitserfahrungen mit der Welt der Sagen, Fabeln, Märchen und Geschichten:
Schon als Kind konnte man mich, wenn ich ungeduldig war, durch eine Geschichte zum Schweigen bringen. Es war mir anfangs gleichgültig, von was es handelte, wenn es nur erzählt war, wenn nur etwas geschah; wie oft habe ich, ohne zu ermüden, jene Fabeln angehört, die weise Männer erfunden, und in welche sie einen Kern ihrer Weisheit gelegt haben (zitiert nach HINZ 1989: 121).
Durch das kindliche Nacherleben wird das Wunderbare des Märchens zur Wirklichkeit. Die Suggestivkraft phantastischer Geschichten kann auch Angst erzeugen, wo sie von Erwachsenen zur Einschüchterung der kindlichen Spontaneität mißbraucht wird (ebd., 122). Die Aufgabe des Erzählens sieht Hauff darin, die Angst zu bannen – alle Rahmenhandlungen der drei Almanache sind so aufgebaut, dass sie Angst, Spannung oder Langeweile überwinden sollten. Zu seinen Lebzeiten wurden die Märchenalmanache von dem Lesepublikum nie recht akzeptiert. Hauff selbst maß den Märchen künstlerisch keinen besonderen Wert (zumindest bewusst) bei. Er verfasste sowohl schwache, der Trivialliteratur nahe Werke, als auch stilistisch ausgefeilte Leistungen. Diese entstanden fast ausnahmslos ab Sommer 1826. Gemeint sind die „Controvers-Predigt“, die Novelle „Das Bild des Kaisers“, die Skizzen „Die Bücher und die Lesewelt“, die „Phantasien im Bremer Rathskeller“, schließlich die Märchen. Wie angedeutet, wandte sich Hauff populärer Belletristik zu, einer modernen und weltläufigen Erzählkunst, wie sie es in Deutschland bisher praktisch nicht gab. Seine Abkehr von der Versdichtung und Hinwendung zur Prosa machten ihn in der schwäbischen Literaturszene zum Außenseiter. Ende des Jahrhunderts steigerte sich der Nachruhm des Dichters (vgl. ebd., 66-136). PFÄFFLIN veranschaulicht zutreffend die Gründe für die enorme Popularität seiner Werke:
Wilhelm Hauff, ein Modedichter des 19. Jahrhunderts? Seine geringe Originalität, die Abhängigkeit von Angelesenem und die atemberaubende Fähigkeit, den literarischen Geschmack seiner Zeit zu treffen, sich einmal Aufgenommenes rasch anzuverwandeln, ja, die zu beobachtende Scheu, eigenen Konzepten den Vorzug vor eingeführten Zeitschriften oder Almanachen zu geben: alles spräche dafür, daß Hauffs Name nur noch den wenigen Kennern vertraut wäre.
Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. (…) Hauffs Sagen, Skizzen, Novellen und Märchen wurden für die Bühne, die Oper, den Film, das Papier- und Schattentheater entdeckt. Manche seiner Titel – wie „Zwerg Nase“ oder „Das kalte Herz“ – sind in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Seine „fremde“ Originalität, die ihm die Zeitgenossen vorwarfen, hat sich auf die Nachwelt übertragen, die seine Bilder und Geschichten im literarischen und außerliterarischen Bereich ausbeutet: Der Bau eines Schlosses nach einer „romantischen Sage“ von Wilhelm Hauff ist der sichtbarste Nachweis (PFÄFFLIN 1981: 4-5).
Quellen / Źródła:
HINZ, Ottmar (1989): Wilhelm Hauff mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
PFÄFFLIN, Friedrich (1981): Wilhelm Hauff. Der Verfasser des „Lichtenstein“. Chronik seines Lebens und Werkes. Stuttgart: Fleischhauer & Spohn.
Brak komentarzy:
Prześlij komentarz