Mein Text / mój autorski tekst:
Wilhelm Hauff publizierte seine Märchen in drei Sammlungen. Es handelt sich um „Märchen-Almanache für Söhne und Töchter gebildeter Stände“ auf die Jahre 1826, 1827 und 1828, die seine einzigen Publikationen für Kinder und Jugendliche sind. Sie markieren die gesamte Zeitspanne, die dem Autor für sein literarisches Schaffen gegeben war. Hauffs Verdienst ist es, die Gattung des Märchens für das Unterhaltsame, Exotische und Abenteruerliche geöffnet zu haben (vgl. HURRELMANN 1998: 889). Er nahm Anregungen von den orientalischen „Märchen aus 1001 Nacht“, von Märchen der Brüder Grimm, Erzählungen E.T.A. Hoffmanns sowie von zeitgenössischen Ritter- und Räuberromanen. Eine Inspiration bildeten für ihn auch die aus Frankreich stammenden Feenmärchen. Aus Kombination variabler Elemente kreierte er etwas Eigenständiges (vgl. ebd., 890):
Zu danken sind diese Hauff’schen Märchen (...) der klugen Frau von Hügel, die den jungen Hofmeister dazu brachte, all die einfallsreich ausgedachten, heiteren und dramatischen, exotischen und doch nahegehenden Geschichten, die er ihren Kindern erzählte oder vorspielte, die er gemeinsam mit ihnen improvisierte, doch aufzuschreiben und als Buch herauszubringen (POSTMA 2008: 27).
„Die Karawane“ erschien am 8. November 1825. „Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven“ entstand auf der halbjährigen Bildungsreise des Dichters. Während seiner Arbeit als Redakteur des „Morgenblatts für gebildete Stände“ hat er den dritten Märchenalmanach, „Das Wirtshaus im Spessart“ fertiggestellt (vgl. BECKMANN 1976: 5-6).
Hauff fasste die Gattung des Märchens undogmatisch auf und erweiterte sie durch spannungserzeugende Elemente der Novelle, der Sage, der Gespenstergeschichte sowie des Abenteuerromans (vgl. METZLER CHRONIK LITERATUR 2006: 368-369). Er wählte die Almanachform, um den Märchen eine größere Publizität zu sichern (vgl. KINDLERS NEUES LITERATURLEXIKON 1996: 370). Hans-Heino Ewers stellt in seinem Nachwort zur Reclam-Ausgabe von Hauffs Märchen ihre bisherige Rezeption dar. Die Literaturhistoriker urteilten seine Märchen als epigonal, kolportagehaft, trivialliterarisch (EWERS 2003: 445). Helmut Koopmann wirft ihm vor, dass er zwar Talent hat, aber kein Genie ist (vgl. KOOPMANN 1970: 510). Anschließend wendeten die Kritiker Hauff ein, dass er vor allem an Erfolg und Absatz seiner Werke interessiert war. Sein Streben nach Akzeptanz bei den Lesern wurde äußerst kritisch beurteilt, nach dem Spruch: Wer sich am Leser orientiert, kann nur Triviales liefern (NEUHAUS 2002: 93). Auf jeden Fall lässt sich nicht verneinen, dass Hauff sich an seinem Publikum orientierte, das suchte, was dem Zeitgeist entsprechen konnte. Er zeigt, dass man die Unterhaltung von ästhetischem Genuss nicht trennen muss und dass Beliebtheit bei den Lesern und Qualität sich nicht ausschließen. Es muss erwähnt werden, dass Hauffs Märchen zu den kinderliterarischen Klassikern, zum Kernbestand literarischer Sozialisation gezählt werden. Ihr Leserkreis kennt keine Altersgrenzen, obwohl der Titel der Sammlung darauf hinweist, dass Hauff auf Heranwachsende aus vornehmen Häusern kalkulierte und dass er weit entfernt von der Auffassung des Märchens als einer für alle Schichten gültigen literarischen Gattung ist (vgl. HURRELMANN 1998: 892).
In einer Parabel „Märchen als Almanach“, die Hauff dem ersten Almanach vorausschickt, klärt Hauff, weshalb er sich dieser literarischen Gattung zuwendet. Es wird eine Krise in dem schönen fernen Reiche (S. 7)1 der Königin Phantasie geschildert. Seit Jahrhunderten schenkte sie den in traurigem Ernst, unter Mühe und Arbeit (ebd.) lebenden Menschen ihre schönsten Gaben (ebd.), die ihnen Freude und Heiterkeit mitgebracht hatten. So wird die Existenz des Märchens gerechtfertigt. Bald tritt eine Krise in dem Reich der Königin ein: Einst kam Märchen, die älteste Tochter der Königin, von der Erde zurück (ebd.). Sie berichtet ihrer Mutter darüber, dass die Menschen sie verachten und gegenüber ihr nicht mehr freundlich sind. Sie haben Wächter aufgestellt, die alles, was aus dem Reiche der Königin kommt, sorgfältig prüfen. So hat das Märchen keinen Zugang zur Menschenwelt. Anders ist es mit den Träumen, die im Schutz der Nacht zu ihnen gelangen können. Das Märchen fiel dem Hochmut der Menschen zum Opfer, sie beraubten sich ihres eigenen Vergnügens. Die Königin lässt zum Verschwinden des Reiches nicht kommen – so kommt sie auf eine Idee, wie das Märchen an den Grenzwächtern vorbei schmuggeln kann und kleidet sie ins Gewand eines Almanach (S.10). Dann wird es von den Grenzwächtern nicht belästigt und kann den Weg zu den Menschen finden.
Der kurze Text ist eine ironische Anspielung auf die erwartbare Rezeption, auf unduldsame Literaturkritiker. Es ist zugleich Hauffs programmatischer Text. Seine Märchen konnten tatsächlich lange Zeit mit dem Erfolg seiner Novellen und Romane nicht konkurrieren. Direkte Anspielungen auf die Rezensenten, auf die Akteure im Sozialsystem Literatur sind im Text nicht zu verkennen, beispielsweise als das Märchen sich von den Wächtern zu erkennen gibt, wird es mit scharfen Federn (S. 11) bedroht (vgl. NEUHAUS 2005: 182-184). Als sie ihnen märchenhafte, phantastische, bunte Bilder in die Luft steigen lässt, fallen sie in den Schlaf. Ein freundlicher Mann gewährt Märchen Einlass und weist ihm einen Platz bei Kindern an: Auf diese Weise evoziert Hauff den für seine Erzählhaltung und die Wirkungsintensität des Erzählten bedeutsamen Eindruck, als würden die Almanachmärchen sich gleichsam selbst erzählen, als seien sie jene bunten Bilder, die Märchen in die Luft steigen läßt (KINDLERS NEUES LITERATURLEXIKON 1966: 370). Hauff geht es um einen zu hohen Anspruch, der an die Texte gestellt wird – idealerweise sollten seine Märchen sowohl den Lesern, als auch den Rezensenten entsprechen (vgl. NEUHAUS 2002: 97).
Quellen / Źródła:
Primärliteratur:
HAUFF, Wilhelm (1825): Märchen als Almanach. In: Sämtliche Märchen. Hrsg. von Hans-Heino Ewers (2003). Stuttgart: Philipp Reclam jun.
Sekundärliteratur:
BECKMANN, Sabine (1976): Wilhelm Hauff. Seine Märchenalmanache als zyklische Kompositionen. Bonn: Bouvier Verlag.
JENS, Walter (Hrsg.): Kindlers neues Literaturlexikon. München 1996: Kindler, 370.
HURRELMANN, Bettina (1998): Wilhelm Hauff. In: Brunken, Otto / Hurrelmann, Bettina / Pech, Klaus-Ulrich (Hrsg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Von 1800 bis 1850. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, 889-904.
KOOPMANN, Helmut (1970): Nachwort zu: Wilhelm Hauff, Sämtliche Werke, München, Bd. 3, 510.
MEID, Volker (2006): Metzler Chronik Literatur – Werke deutschsprachiger Autoren. 3., erweiterte Auflage. Stuttgart / Weimar: Verlag J.B. Metzler, 368-369.
NEUHAUS, Stefan (2002): Das Spiel mit dem Leser. Wilhelm Hauff: Werk und Wirkung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
NEUHAUS, Stefan (2005): Märchen. Tübingen / Basel: A. Francke Verlag.
POSTMA, Heiko (2008): Goldene Körner in des Lesers Phantasie. Über Leben und Werk des Schriftstellers Wilhelm Hauff (1802-1827). 1. Auflage. Hannover: jmb-Verlag.
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