E.T.A. Hoffmann trat im Jahre 1814 wieder in den preußischen Staatsdienst. Die Reformen, die in den Jahren 1806-1815 durchgeführt wurden, dienten überwiegend den Interessen der Adligen. Die preußischen Reformer waren Anhänger des aufgeklärten Absolutismus, der weit entfernt von den liberalen Ideen war, die im Bürgertum Fuß gefasst hatten. Hoffmanns politische Haltung artikulierte sich im Protest gegen Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen, gegen den Feudalstaat sowie gegen entfremdete gesellschaftliche Verhältnisse. Im „Klein Zaches“ stellt er Alternativen des Bürgertums in Preußen um 1815 dar und thematisiert eine Auseinandersetzung zwischen dem bürgerlichen Geist und der Reaktion eines Feudalstaates. Als Argumente gegen Adelsherrschaft führt Hoffmann die Vorherrschaft des Geistes und Autonomie des Einzelnen an (vgl. WALTER 1976: 398-402).
Als im fiktiven Fürstentum der Fürst Demetrius herrschte, war es ein Staat von selbständig denkenden Bürgern:
Niemand merkte indessen das mindeste von der Regierung, und alle waren damit gar wohl zufrieden. Personen, die die volle Freiheit in all ihrem Beginnen, eine schöne Gegend, ein mildes Klima liebten, konnten ihren Aufenthalt gar nicht besser wählen, als in dem Fürstentum (S. 14).
Der Herrscher ließ seinen Untertanen eine völlige Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit, griff in ihre Privatsphäre nicht ein.
Der Konflikt bahnt sich nach dem Tode des liberalen Demetrius an. Das Verhalten des Fürsten Paphnutius nach der Machtübernahme ist eine Satire auf die sich für aufgeklärt haltenden, bornierten Herrscher. Schon die merkwürdigen Reformvorschläge des Ministers Andres klingen ironisch:
Ehe wir mit der Aufklärung vorschreiten, d.h. ehe wir die Wälder umhauen, den Strom schiffbar machen, Kartoffeln anbauen, die Dorfschulen verbessern, Akazien und Pappeln anpflanzen, die Jugend ihr Morgen- und Abendlied zweistimmig absingen, Chausseen anlegen und die Kuhpocken einimpfen lassen, ist es nötig, alle Leute von gefährlichen Gesinnungen (...) aus dem Staate zu verbannen (S. 15-16).
Dies sind Indizien dafür, dass man mit dem absolutistischen Herrscher Friedrich den Großen identifizieren kann, der den Zwangskartoffelanbau einführte und die Volksschule als staatliche Anstalt durchsetzte (vgl. WEGLÖHNER 1992: 23). Die Feen können als Träger bürgerlicher Ideen in einem absolutistischen Staat gesehen werden. Allein durch ihre Anwesenheit stellen sie einen potentiellen Unsicherheitsfaktor dar. Die Aufklärung bildet für den Fürsten ein perfektes Herrschaftsinstrument (vgl. WALTER 1976: 404). Sie verliert ihre bürgerlich-progressive Funktion, um die Staatsmaschinerie, die Feudalordnung zu stützen. Sie hat zum Ziel die restlose Indienstnahme des Menschen für die Zwecke des staatlichen und wirtschaftlichen Funktionierens (WEGLÖHNER 1992: 24). Der aufgeklärte Absolutismus erkennt in selbstdenkenden, selbstbewussten Bürgern seine Gegner. Durch Umerziehung und Beschlagnahmungen will der Herrscher die Furcht vor Aufruhr und Rebellion beseitigen (vgl. ebd., 24-25). Die Reformtätigkeit in Preußen seit 1806 war eine Fortsetzung der Reformen von oben ohne Mitspracherecht des Bürgertums. Hoffmann greift eigentlich nicht die Aufklärung selbst an, sondern eine politische Verbindung von Aufklärung und Absolutismus (vgl. WALTER 1976: 405-406).
Der aufgeklärte Absolutismus verkörpert im „Klein Zaches“ ein antibürgerliches, inhumanes Prinzip (ebd., 406), das das Andersdenken durch Beschlagnahmungen und Verbannung ausschließt. Das entgegengesetzte Prinzip steht für eine gegen Gesinnungszwang immune Haltung. Die Auseinandersetzung zwischen Feudalabsolutismus und Bürgertum artikuliert sich in politischer Entmündigung und sozialer Entrechtung. Hoffmann stellt eine humane, bürgerlich-freie (ebd., 407) Staatsform als eine Utopie dar. So ist die Heimat der Feengestalten, Dschinnistan, ein nicht existierendes, besseres Staatswesen. Die Doppelexistenz des Doktors Prosper Alpanus sowie die individuelle Handlung der Fee Rosabelverde stellen mögliche Verhaltensweisen des Bürgertums dar. Es sind zwei antagonistische Verhaltensweisen: eine „real-inhumane“ und eine „utopisch-humane“ (ebd., 408). Die utopische Wirklichkeit des Märchens kann nur als Poesie realisiert werden (vgl. ebd., 406-408).
Ein starker Akzent liegt auf der Darstellung der Aufklärung, auf einer Kritik der rationalen Wissenschaft, was sich in der Schilderung der beiden Gelehrten niederschlägt. Kritisiert wird überhaupt die Gesellschaft als das Ganze – die bornierte, profitsüchtige Gesellschaft, die sich für aufgeklärt hält, in der Wirklichkeit aber dem Zauber eines verwachsenen Männleins verfällt (vgl. KREMER 1999: 103-104). Eine Voraussetzung für seine Karriere ist nicht die Ausbildung, sondern Protektion eines verblendeten Fürsten und Verblendung der Gesellschaft. Sein Aufstieg widerspricht bürgerlichen Wertvorstellungen. Er geht auf Kosten der wirklich arbeitenden Bürger. Kriecherei, Opportunismus, Anpassung sind ein Weg, den solche entmenschten Individuen wählen, die keine Möglichkeit zeigen, sich selbst zu entwickeln. So müssen sie eine Niederlage erleiden und versagen. Bürgerliche Ideale wie Tüchtigkeit, Arbeitsamkeit, Sittenstrenge haben hier, wo persönliche Launen und Vorlieben des Fürsten über allgemeine Interessen entscheiden können, weder Geltung noch Wirkungsmöglichekit (WALTER 1976: 410). Die einseitige, eigennützige Gesellschaft ist bereit, das Spiel mitzuspielen (vgl. ebd., 410-411). Zaches übernimmt immer wieder neue Rollen und Konzepte. Neue Fähigkeiten überblenden sein dummes, ungeschicktes Wesen und seine realen Voraussetzungen kommen nicht mehr in den Blick (vgl. KNAUER 1995: 155). Erst der Student Balthasar setzt einen allgemeinen Erkenntnisprozess, einen Gegenzauber in Gang. Das Zusammentreffen mit Prosper Alpanus kann man beinahe als eine Verschwörung von Gesinnugsgenossen, die Überlegungen zum Sturz eines mächtigen Vertreters des herrschenden Regimes anstellen (WALTER 1976: 416). Die Aufklärung wird falsch verstanden und auf die ökonomische Zweckrationalität beschränkt. Sie wird mit der „Vergewaltigung der Natur“ (ebd., 413) gleichgestellt. Die Dummheit und Borniertheit des Fürsten Paphnutius offenbaren sich darin, dass er die politisch Andersdenkenden verbannt (vgl. ebd., 106). Ironischerweise wird die Wunderwelt von Andres in den Text eingebracht. So verhöhnt Hoffmann die Phantasiefeindlichkeit der Aufklärung. Er kritisiert ebenfalls die Privilegien des Adels (vgl. KINDLERS NEUES LITERATURLEXIKON: 951-952).
Primärliteratur:
HOFFMANN, E.T.A. (1819): Klein Zaches genannt Zinnober. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2008.
Sekundärliteratur:
JENS, Walter (Hrsg.): Kindlers neues Literaturlexikon. München 1996: Kindler, 951-952.
KNAUER, Bettina (1995): Die Kunst des als ob: E.T.A. Hoffmanns Märchen von Klein Zaches genannt Zinnober. In: Koopmann, Helmut / Neumann, Peter Horst / Pikulik, Lothar / Riemen, Alfred (Hrsg.): Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft für die klassisch-romantische Zeit. Band 55. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag, 151-167.
KREMER, Detlef (1999): E.T.A. Hoffmann. Erzählungen und Romane. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
WALTER, Jürgen (1976): E.T.A. Hoffmanns Märchen „Klein Zaches genannt Zinnober“. Versuch einer sozialgeschichtlichen Interpretation. In: Prang, Helmut (Hrsg.): Wege der Forschung. Band CDLXXXVI. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
WEGLÖHNER, Hans Werner (1992): Die gesellschaftlichen und politischen Aspekte in E.T.A. Hoffmanns Märchen „Klein Zaches genannt Zinnober“. In: Der Deutschunterricht 44. Velber: Friedrich Verlag.
Hallo Frau Magdalena,
OdpowiedzUsuńmeinst Du, dass diese Literatur gut für die Diplomarbeit, die vom Wortschatzerwerb handelt, wäre?
Vielen Dank,
Leserin aus Kroatien
Ich wollte mich eigentlich auf die Literatur betreffend Didaktik und Methodik beziehen.ALso der Kommentar sollte dort stehen.
UsuńVielen Dank,
Leserin aus Kroatien
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