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24.2.12

Joseph von Eichendorff - Mondnacht. Zum Verständnis der Romantik

Joseph von Eichendorff – Mondnacht

Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküsst
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst

Die Luft ging durch die Felder
Die Ähren wogten sacht
Es rauschten leis die Wälder
So sternklar war die Nacht

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus
Flog durch die stillen Lande
Als flöge sie nach Haus


Im Gedicht äußert sich die Entgrenzung. Man könnte sich fragen, wie die Romantiker die Entgrenzung zum Ausdruck brachten. Man kann unterscheiden:

Personale Entgrenzung: Flucht aus der Tageswelt in die Nacht

Räumliche Entgrenzung: Flucht in die andere Dimension (Wanderlust, Fernweh)

Zeitliche Entgrenzung: Flucht in die Welt der Kindheit

Im Gedicht spielt die Natur eine leitende Rolle. Die Romantiker hat es schon immer in die Natur hinausgetrieben. Sie wurde zum bestimmenden Motiv: es handelt sich nicht nur um die Menschennatur, sondern auch um die den Menschen umgebende Natur. Das „Systemprogramm“ der Epoche postuliert eine Einheit von Ich und Natur.

In der ersten Strophe geht es ums Träumen, um die Natur, um die Verbindung zwischen Himmel und Erde. In poetischer Verschleierung kommt die zeitliche und die räumliche Entgrenzung zum Ausdruck. Normalerweise erwartet man nicht, dass Himmel und Erde auseinanderfallen. Durch die Form des Konjunktivs II, „hätte“, mischt sich die Scheinhaftigkeit in den Text hinein.

In der zweiten Strophe wird die Nacht beschrieben. Es ist eines der wichtigsten Motive der Romantik. Edward Youngs (1683-1765) „Night thoughts“ (1741/43) beeinflussen die Ideenwelt der ganzen Epoche, die dann oft als eine melancholische Mondscheinromantik bezeichnet wurde.

Die romantische Affinität zur Intensivität der Gefühle ist in der dritten Strophe deutlich ablesbar. Im Gedicht dominieren Freiheit, Melancholie, ein gewisses Gefühl der Trauer, Sehnsucht. Im Leser kommt die Stimmung der Harmonie, der Feierlichkeit auf. Der Akzent liegt auf einem gewissen Gefühl der Freiheit.

18.2.12

Die Form des Märchens "Klein Zaches genannt Zinnober" von E.T.A. Hoffmann

Das Märchen hat einen dreiteiligen Aufbau. Der erste Teil umfasst das erste Kapitel – es wird geschildert, wie die Fee Rosabelverde sich des Zaches angenommen hat, der zweite Teil enthält die Kapitel zwei bis neun. Die blitzschnelle Karriere des Zinnobers und die Verblendung der Gesellschaft werden beschrieben. Den dritten Teil bildet das „letzte Kapitel“, in dem die Hochzeit von Balthasar und Candida geschildert wird.

Hoffmann mischt unterschiedliche Textformen. So beinhaltet das Märchen Parodien typischer Tragödieszenen (das Lamento der Frau Liese, die Monologe Balthasars oder des Referendarius Pulcher). Weiterhin ist der Reisebericht des Gelehrten Ptolomäus Philadelphus zu lesen. Die erwähnten Formen repräsentieren die literarischen Genera der Aufklärung, während der Zauberwettkampf Erzählformen der romantischen Tradition komisiert (vgl. AURNHAMMER 2004: 119-120, 124-125).

Die auktoriale Erzählsituation hebt sich durch Leseranreden, Wertungen, Kommentare ab, die sich im Märchen überaus häufig finden. Hoffmann redet den Leser immer wieder an: günstiger Leser (S. 10), geliebter Leser (S. 14), mein geliebter Leser (S. 22), mein günstiger Leser (S. 23). So wird ein vertrauliches Verhältnis zum Leser aufgebaut: und so mochte mir und Dir, geliebter Leser! die wir nicht zu den Überschwänglichen gehören, das Mädchen eben ganz recht sein (S. 36), da du viel besser wie der berühmte Gelehrte Ptolomäus Philadelphus Studenten kennst (S. 23). Der Erzähler scheint ebenfalls seine Figuren persönlich zu kennen: Als ich die Gnädige zum ersten und letzten Mal zu schauen das Vergnügen hatte (S. 11), ob ihre übrigens schönen Haare, die sie in wunderlichen Flechten gar phantastisch aufzunesteln wußte, mehr blond oder mehr braun zu nennen, habe ich vergessen (S. 35). Am Schluss der Märchens weckt der Erzähler Zweifel an der Wahrheit des Erzählten (vgl. ebd., 125-126).

Primärliteratur:

HOFFMANN, E.T.A. (1819): Klein Zaches genannt Zinnober. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2008.

Sekundärliteratur:

AURNHAMMER, Achim (2004): Klein Zaches genannt Zinnober. Perspektivismus als Plädoyer für die poetische Autonomie. In: Saße, Günter (Hrsg.): E.T.A. Hoffmann. Romane und Erzählungen. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 117-132.

17.2.12

Motivik im Märchen "Klein Zaches genannt Zinnober" von E.T.A. Hoffmann

Wie in vielen Märchen Hoffmanns wird auch im „Klein Zaches“ eine Zweiteilung der Welt vorausgesetzt. Der feindliche Kampf der wunderbaren Mächte ist jedoch fast aufgehoben. Die Untaten des Zinnobers sind eine Folge der Gabe der Fee Rosabelverde, die jedoch es gut mit ihm gemeint hat. Ihre gute Tat hat sich zum Bösen gewendet. Hoffmanns Auffassung nach kann eine gute Absicht negative Auswirkungen hervorrufen. Er zeigt, dass die Menschen sich leicht von anderen blenden lassen, noch mehr dann, wenn sie sich für aufgeklärt halten. Den Text kann man als eine Parabel über die Verführbarkeit des Menschen (NEUHAUS 2005: 159) lesen. Hoffmann löst zugleich das Spannungsverhältnis von Phantasie und Wirklichkeit. Der Dualismus zwischen alltäglicher und phantastischer Ebene wird nicht in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, sondern auf der Ebene der Zaubervorgänge aufgehoben (vgl. KINDLERS NEUES LITERATURLEXIKON: 952). Die Grundstruktur des Textes ist dualistisch: der Leser hat es mit Aufklärung und Feenwelt, mit Feudalabsolutismus und Bürgertum, mit Selbstverwirklichung und Selbstverfehlung zu tun. Die Kritik an der bestehenden Staatsform nimmt eine Form der Satire an, während eine positive Alternative als eine Utopie dargestellt wird (vgl. WALTER 1976: 419-420).

„Klein Zaches genannt Zinnober“ ist ein Märchen von der Nutzbarmachung des Wunderbaren oder umgekehrt von der Verzauberung des Nützlichen (VITT-MAUCHER 1984: 197). Geschildert wird die Wirkung des Wunderbaren im Alltag. In der Zeit der Aufklärung muss es sich dem Nützlichen unterwerfen. Der Zauber der Fee will das Gute, schafft jedoch das Böse, das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigt hatte (vgl. ebd., 198-199). So ist es ein Zeichen dafür, dass die Vertreter der wunderbaren Welt in der realen, aufgeklärten Welt nicht mehr wesensgemäß handeln (vgl. ebd., 203).

Die Metamorphose wurde zum Gegenstand des Textes. Das irritierende Zwischenwesen, in dem menschliche und tierische Züge vermischt wurden, kann auf sozialkritische Lesart als ein sozial und psychisch Geächteter verstanden werden (vgl. KREMER 1999: 105). Es lässt keine Empathie beim Leser aufkommen. Drei feuerfarbglänzende Haare sind ein Symbol der Verfallenheit an den Teufel (vgl. HILDEBRANDT 1997: 39).

Das Thema des Märchens ist eine problematische Wahrnehmung des Subjekts, eine bedrohte Identität. Klein Zaches hindert Balthasar in seiner Laufbahn als Dichter sowie in seinem Liebesverhältnis zu Candida. Trotzdem will er nicht auswandern wie der Geiger Sbiocca und hat keine Selbstmordabsichten wie der Referendarius Pulcher. Er ist bereit, Zinnober zu entlarven:

...glaube mir Freund Pulcher! – ist irgend ein höllischer Zauber im Spiele, so kommt es nur darauf an, ihm mit festem Sinn entgegenzutreten, der Sieg ist gewiß, wenn nur der Mut vorhanden. – Darum nicht verzagt, kein zu rascher Entschluß. Laß uns vereint dem kleinen Hexenkerl zu Leibe gehen! (S. 51).

Zu Leitthemen des Märchens gehört die Vereinsamung – die Vereinsamung des Kindes, die für Zaches lebenslang dauerte. Für seine eigenen Eltern war er eine Last und sein Leben lang hätte er unter Minderwertigkeitsgefühlen leiden müssen, wenn die Fee Rosabelverde ihm zu Ruhm und Ehre nicht verholfen hätte. Die „abscheuliche Missgeburt“ muss so ausgelacht werden, als sie demaskiert wird. Zaches‘ Anpassungsverhalten machte ihn zu einer lächerlichen Figur, ja Karikatur (vgl. HILDEBRANDT 1997: 41- 46). Mit dem Motiv der Vereinsamung hängt das Prinzip des Scheins zusammen. Zaches muss mehr scheinen, als er ist, um von anderen akzeptiert zu werden. Die Diskrepanz zwischen innerem Sein und gesellschaftlichem Schein wird aber für die verblendete Gesellschaft erst dann sichtbar, als der Zauber seine Kraft verliert (vgl. WEGLÖHNER 1992: 25). Die Simulationskunst ermöglicht Zaches eine Kompensation des Unterschieds zwischen Sein und Schein, zwischen Fiktion und Realität, zwischen Erscheinung und Wesen, so daß Masken und imaginäre Bilder die Stelle der häßlichen Realität ganz vertreten können, ja diese so simulieren, daß zwischen Fiktion und Wirklichkeit letztlich kein Unterschied mehr besteht (KNAUER 1995: 156). Die Verwandlung zum Schein war eine Gabe der Fee Rosabelverde, die es mit dem Zaches gut meinte und hoffte, dass das schöne Äußere auch in seine Seele hineinstrahlt. Sie mobilisiert ihre magischen Kräfte, um auf den inneren Menschen zu zielen, aber Zaches‘ ursprüngliche natürliche Häßlichkeit und gesellschaftliche Außenseiterposition hindern daran (vgl. ebd., 158).

Eines der Motive des „Klein Zaches“ bildet das Verhältnis zur Natur. Der aufgeklärte Professor Mosch Terpin gibt sich als Herrscher von Natur. Sein Ruhm gründet auf der Entdeckung, daß die Finsternis hauptsächlich von Mangel an Licht herrühre (S. 23). So hatte er die Gesellschaft verblendet und einen hohen gesellschaftlichen Rang erhalten. Die Universitätssatire besteht an der Kritik an profitsüchtiger Wissenschaftsausbeutung (VITT-MAUCHER 1984: 205). Terpins Verhältnis zur Natur kann als absolutistich, experimentell bezeichnet werden – absolutistisch wie das Verhältnis des absolutistischen Staates zu seinen Untertanen. Der Professor will die Narur beherrschen, meistern. Balthasars Verständnis der Natur ist dagegen emotional, individuell: hinter dem Naturverhältnis des Mosch Terpin stehen Unterordnung und Untertanengeist, während hinter dem des Balthasar bürgerlich-liberale und demokratische Züge sichtbar werden (vgl. WALTER 1976: 414).

Im Märchen wird immer wieder die unheimliche, geheimnisvolle, skurrile Macht erwähnt, ein Motiv, das in fast allen Werken Hoffmanns erscheint: Eine unbekannte Gewalt zieht mich jeden Morgen hinein in Mosch Terpins Haus (S. 27), eine innere Stimme flüsterte ihm in dem Augenblick sehr vernehmlich zu (S. 30), irgend ein düstres Geheimnis, irgend ein böser Zauber (S. 45), eine höllische Macht (S. 50), spürst du (...) hier etwas Außerordentliches, Zauberisches? (S. 58). Zu magischen Motiven zählt die Operation, die Prosper Alpanus an Balthasar vollführt. So tritt Candida ins Leben, mit ihr Zinnober, der sich unter Balthasars Schlägen krümmt. Die Öffnung des poetischen Raums (DETERDING 1999: 28) wirkt suggestiv und überaus intensiv. Balthasar will in das gezeigte Bild eindringen, wird aber von Alpanus gewarnt, der folglich das Bild auflöst (vgl. ebd.).

Im „Klein Zaches“ ist ebenfalls das Motiv der Alchemie präsent, das bereits im „Goldenen Topf“ oder im „Sandmann“ eine wichtige Rolle spielte: Zinnober ist der praktische Alchemist, der Dreck in einen Schein von Gold verwandelt (KREMER 1999: 107). Das Fräulein Rosenschön und der Magier Prosper Alpanus sind dem Element Luft zugeordnet, Zinnober jedoch dem Element Erde. Nicht zufällig hat Doktor Alpanus seine geheime Ausbildung ägyptischer Weisheit zu verdanken. Das Wort „Alchemie“ leitet sich wahrscheinlich aus dem Namen Ägyptens, „keme“ – „die Schwarzerdige“, ab. Der magische Kamm der Fee zerbricht ausgerechnet auf einem mit ägyptischer Hieroglyphenschrift versehenen Fußboden (vgl. ebd., 107-108). Im Märchen ist ebenfalls das Motiv des Feuers von Bedeutung – es ist eines der vier Elemente. Die feurigen Haare bekommen die Aufgabe, Zaches zu veredeln. Es wirft sich der Gedanke auf, ob er nicht das Temperament des Cholerikers darstellt, im Unterschied zur Melancholie Balthasars (vgl. VITT-MAUCHER 1984: 200).

Primärliteratur:

HOFFMANN, E.T.A. (1819): Klein Zaches genannt Zinnober. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2008.

Sekundärliteratur:

DETERDING, Klaus (1999): Magie des Poetischen Raums. E.T.A. Hoffmanns Dichtung und Weltbild. In: Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. Dritte Folge. Band 152. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter.

HILDEBRANDT, Alexandra (1997): „Bösartiger als der Herdenschlaf ist das Gelächter…“ E.T.A. Hoffmanns Märchen Klein Zaches genannt Zinnober und seine Titelgestalt. In: Steinecke, Hartmut / Loquai, Franz / Scher, Steven Paul (Hrsg.): E.T.A. Hoffmann-Jahrbuch. Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft. Band 5. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 37-46.

JENS, Walter (Hrsg.): Kindlers neues Literaturlexikon. München 1996: Kindler, 951-952.

KNAUER, Bettina (1995): Die Kunst des als ob: E.T.A. Hoffmanns Märchen von Klein Zaches genannt Zinnober. In: Koopmann, Helmut / Neumann, Peter Horst / Pikulik, Lothar / Riemen, Alfred (Hrsg.): Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft für die klassisch-romantische Zeit. Band 55. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag, 151-167.

KREMER, Detlef (1999): E.T.A. Hoffmann. Erzählungen und Romane. Berlin: Erich Schmidt Verlag.

NEUHAUS, Stefan (2005): Märchen. Tübingen / Basel: A. Francke Verlag.

VITT-MAUCHER, Gisela (1984): E.T.A. Hoffmanns „Klein Zaches genannt Zinnober“: gebrochene Märchenwelt. In: Frühwald, Wolfgang / Heiduk, Franz / Koopmann, Helmut / Neumann, Peter Horst (Hrsg.): Aurora. Jahrbuch der Eichendorff Gesellschaft. Band 44. Würzburg: Eichendorff-Gesellschaft, 196-212.

WALTER, Jürgen (1976): E.T.A. Hoffmanns Märchen „Klein Zaches genannt Zinnober“. Versuch einer sozialgeschichtlichen Interpretation. In: Prang, Helmut (Hrsg.): Wege der Forschung. Band CDLXXXVI. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 398-423.

WEGLÖHNER, Hans Werner (1992): Die gesellschaftlichen und politischen Aspekte in E.T.A. Hoffmanns Märchen „Klein Zaches genannt Zinnober“. In: Der Deutschunterricht 44. Velber: Friedrich Verlag, 21-32.

16.2.12

Gesellschaftspolitische Thematik in "Klein Zaches genannt Zinnober" von E.T.A. Hoffmann

E.T.A. Hoffmann trat im Jahre 1814 wieder in den preußischen Staatsdienst. Die Reformen, die in den Jahren 1806-1815 durchgeführt wurden, dienten überwiegend den Interessen der Adligen. Die preußischen Reformer waren Anhänger des aufgeklärten Absolutismus, der weit entfernt von den liberalen Ideen war, die im Bürgertum Fuß gefasst hatten. Hoffmanns politische Haltung artikulierte sich im Protest gegen Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen, gegen den Feudalstaat sowie gegen entfremdete gesellschaftliche Verhältnisse. Im „Klein Zaches“ stellt er Alternativen des Bürgertums in Preußen um 1815 dar und thematisiert eine Auseinandersetzung zwischen dem bürgerlichen Geist und der Reaktion eines Feudalstaates. Als Argumente gegen Adelsherrschaft führt Hoffmann die Vorherrschaft des Geistes und Autonomie des Einzelnen an (vgl. WALTER 1976: 398-402).

Als im fiktiven Fürstentum der Fürst Demetrius herrschte, war es ein Staat von selbständig denkenden Bürgern:

Niemand merkte indessen das mindeste von der Regierung, und alle waren damit gar wohl zufrieden. Personen, die die volle Freiheit in all ihrem Beginnen, eine schöne Gegend, ein mildes Klima liebten, konnten ihren Aufenthalt gar nicht besser wählen, als in dem Fürstentum (S. 14).

Der Herrscher ließ seinen Untertanen eine völlige Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit, griff in ihre Privatsphäre nicht ein.

Der Konflikt bahnt sich nach dem Tode des liberalen Demetrius an. Das Verhalten des Fürsten Paphnutius nach der Machtübernahme ist eine Satire auf die sich für aufgeklärt haltenden, bornierten Herrscher. Schon die merkwürdigen Reformvorschläge des Ministers Andres klingen ironisch:

Ehe wir mit der Aufklärung vorschreiten, d.h. ehe wir die Wälder umhauen, den Strom schiffbar machen, Kartoffeln anbauen, die Dorfschulen verbessern, Akazien und Pappeln anpflanzen, die Jugend ihr Morgen- und Abendlied zweistimmig absingen, Chausseen anlegen und die Kuhpocken einimpfen lassen, ist es nötig, alle Leute von gefährlichen Gesinnungen (...) aus dem Staate zu verbannen (S. 15-16).

Dies sind Indizien dafür, dass man mit dem absolutistischen Herrscher Friedrich den Großen identifizieren kann, der den Zwangskartoffelanbau einführte und die Volksschule als staatliche Anstalt durchsetzte (vgl. WEGLÖHNER 1992: 23). Die Feen können als Träger bürgerlicher Ideen in einem absolutistischen Staat gesehen werden. Allein durch ihre Anwesenheit stellen sie einen potentiellen Unsicherheitsfaktor dar. Die Aufklärung bildet für den Fürsten ein perfektes Herrschaftsinstrument (vgl. WALTER 1976: 404). Sie verliert ihre bürgerlich-progressive Funktion, um die Staatsmaschinerie, die Feudalordnung zu stützen. Sie hat zum Ziel die restlose Indienstnahme des Menschen für die Zwecke des staatlichen und wirtschaftlichen Funktionierens (WEGLÖHNER 1992: 24). Der aufgeklärte Absolutismus erkennt in selbstdenkenden, selbstbewussten Bürgern seine Gegner. Durch Umerziehung und Beschlagnahmungen will der Herrscher die Furcht vor Aufruhr und Rebellion beseitigen (vgl. ebd., 24-25). Die Reformtätigkeit in Preußen seit 1806 war eine Fortsetzung der Reformen von oben ohne Mitspracherecht des Bürgertums. Hoffmann greift eigentlich nicht die Aufklärung selbst an, sondern eine politische Verbindung von Aufklärung und Absolutismus (vgl. WALTER 1976: 405-406).

Der aufgeklärte Absolutismus verkörpert im „Klein Zaches“ ein antibürgerliches, inhumanes Prinzip (ebd., 406), das das Andersdenken durch Beschlagnahmungen und Verbannung ausschließt. Das entgegengesetzte Prinzip steht für eine gegen Gesinnungszwang immune Haltung. Die Auseinandersetzung zwischen Feudalabsolutismus und Bürgertum artikuliert sich in politischer Entmündigung und sozialer Entrechtung. Hoffmann stellt eine humane, bürgerlich-freie (ebd., 407) Staatsform als eine Utopie dar. So ist die Heimat der Feengestalten, Dschinnistan, ein nicht existierendes, besseres Staatswesen. Die Doppelexistenz des Doktors Prosper Alpanus sowie die individuelle Handlung der Fee Rosabelverde stellen mögliche Verhaltensweisen des Bürgertums dar. Es sind zwei antagonistische Verhaltensweisen: eine „real-inhumane“ und eine „utopisch-humane“ (ebd., 408). Die utopische Wirklichkeit des Märchens kann nur als Poesie realisiert werden (vgl. ebd., 406-408).

Ein starker Akzent liegt auf der Darstellung der Aufklärung, auf einer Kritik der rationalen Wissenschaft, was sich in der Schilderung der beiden Gelehrten niederschlägt. Kritisiert wird überhaupt die Gesellschaft als das Ganze – die bornierte, profitsüchtige Gesellschaft, die sich für aufgeklärt hält, in der Wirklichkeit aber dem Zauber eines verwachsenen Männleins verfällt (vgl. KREMER 1999: 103-104). Eine Voraussetzung für seine Karriere ist nicht die Ausbildung, sondern Protektion eines verblendeten Fürsten und Verblendung der Gesellschaft. Sein Aufstieg widerspricht bürgerlichen Wertvorstellungen. Er geht auf Kosten der wirklich arbeitenden Bürger. Kriecherei, Opportunismus, Anpassung sind ein Weg, den solche entmenschten Individuen wählen, die keine Möglichkeit zeigen, sich selbst zu entwickeln. So müssen sie eine Niederlage erleiden und versagen. Bürgerliche Ideale wie Tüchtigkeit, Arbeitsamkeit, Sittenstrenge haben hier, wo persönliche Launen und Vorlieben des Fürsten über allgemeine Interessen entscheiden können, weder Geltung noch Wirkungsmöglichekit (WALTER 1976: 410). Die einseitige, eigennützige Gesellschaft ist bereit, das Spiel mitzuspielen (vgl. ebd., 410-411). Zaches übernimmt immer wieder neue Rollen und Konzepte. Neue Fähigkeiten überblenden sein dummes, ungeschicktes Wesen und seine realen Voraussetzungen kommen nicht mehr in den Blick (vgl. KNAUER 1995: 155). Erst der Student Balthasar setzt einen allgemeinen Erkenntnisprozess, einen Gegenzauber in Gang. Das Zusammentreffen mit Prosper Alpanus kann man beinahe als eine Verschwörung von Gesinnugsgenossen, die Überlegungen zum Sturz eines mächtigen Vertreters des herrschenden Regimes anstellen (WALTER 1976: 416). Die Aufklärung wird falsch verstanden und auf die ökonomische Zweckrationalität beschränkt. Sie wird mit der „Vergewaltigung der Natur“ (ebd., 413) gleichgestellt. Die Dummheit und Borniertheit des Fürsten Paphnutius offenbaren sich darin, dass er die politisch Andersdenkenden verbannt (vgl. ebd., 106). Ironischerweise wird die Wunderwelt von Andres in den Text eingebracht. So verhöhnt Hoffmann die Phantasiefeindlichkeit der Aufklärung. Er kritisiert ebenfalls die Privilegien des Adels (vgl. KINDLERS NEUES LITERATURLEXIKON: 951-952).

Primärliteratur:


HOFFMANN, E.T.A. (1819): Klein Zaches genannt Zinnober. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2008.

Sekundärliteratur:

JENS, Walter (Hrsg.): Kindlers neues Literaturlexikon. München 1996: Kindler, 951-952.

KNAUER, Bettina (1995): Die Kunst des als ob: E.T.A. Hoffmanns Märchen von Klein Zaches genannt Zinnober. In: Koopmann, Helmut / Neumann, Peter Horst / Pikulik, Lothar / Riemen, Alfred (Hrsg.): Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft für die klassisch-romantische Zeit. Band 55. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag, 151-167.

KREMER, Detlef (1999): E.T.A. Hoffmann. Erzählungen und Romane. Berlin: Erich Schmidt Verlag.

WALTER, Jürgen (1976): E.T.A. Hoffmanns Märchen „Klein Zaches genannt Zinnober“. Versuch einer sozialgeschichtlichen Interpretation. In: Prang, Helmut (Hrsg.): Wege der Forschung. Band CDLXXXVI. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

WEGLÖHNER, Hans Werner (1992): Die gesellschaftlichen und politischen Aspekte in E.T.A. Hoffmanns Märchen „Klein Zaches genannt Zinnober“. In: Der Deutschunterricht 44. Velber: Friedrich Verlag.

12.2.12

Ironie im Märchen "Klein Zaches genannt Zinnober" von E.T.A. Hoffmann

Hoffmann bedient sind immer wieder scharfer Ironisierungen. Unter den Figuren des Märchens sind vor allem die beiden zweifelhaften Gelehrtenautoritäten satirisch gezeichnet. Ptolomäus Philadelphus bewertet fremde Bräuche als absurd, weil er mit ihnen nicht vertraut ist. Die Verdienste des Professors Mosch Terpins werden ausführlich geschildert. An ihnen lässt sich die aufklärerische Leistung des Märchens erkennen: man sollte der bequemen Verführung nicht erliegen, etwas für erklärbar zu halten.

Ironisiert wird ebenfalls der Student Balthasar, ein romantischer Schwärmer: Beinahe keck würde sein Blick zu nennen sein, wenn nicht die schwärmerische Trauer, wie sie auf dem ganzen blassen Antlitz liegt, einem Schleier gleich die brennenden Strahlen verhüllte (S. 23), Nicht wahr, Bruder, nun geht dir auch das Herz auf, nun begreifst du auch das selige Geheimnis der Waldeinsamkeit? (S. 25). Obwohl er die verwachsene Gestalt des Zinnobers erkennt, lässt er sich von Candidas Äußerem blenden. Für ihn spricht, dass er den Professor Mosch Terpin durchschaut: Oder vielmehr mich faßt dabei ein unheimliches Grauen, als säh‘ ich den Wahnsinnigen, der in geckenhafter Narrheit König und Herrscher ein selbst gedrehtes Strohpüppchen liebkost (S. 26).

Als ironisch erscheint ebenfalls die Zugabe eines „letzten“ epilogartigen Kapitels mit einer folgenden Begründung: [...] ist es nicht anmutiger, wenn statt eines traurigen Leichenbegängnisses, eine fröhliche Hochzeit am Ende steht? (S. 112). Der Nachttopf, in dem Zaches sein Leben endet, erscheint als ein ironisches Gegenbild zum goldenen Topf. Der student Balthasar, der Geiger Sbiocca und der Referendarius Pulcher sind dies alles, was Hoffmann war: Dichter, Musiker und Jurist. So haben wir es mit einem ironischen autobiographischen Spiel zu tun (vgl. NEUHAUS 2005: 158-164).

Primärliteratur:

HOFFMANN, E.T.A. (1819): Klein Zaches genannt Zinnober. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2008.

Sekundärliteratur:

NEUHAUS, Stefan (2005): Märchen. Tübingen / Basel: A. Francke Verlag.

10.2.12

E.T.A. Hoffmann - "Klein Zaches genannt Zinnober". Inhalt

Das Fräulein von Rosenschön (die Fee Rosabelverde) hat Mitleid mit einem missgestalteten, verwachsenen Jungen und verleiht ihm die Gabe, auf andere nicht abstoßend zu wirken. Zaches wird vom Erzähler als unselige Mißgeburt (S. 6), die kleine Ungestalt (S. 10), das kleine Ungetüm (S. 28), der kleine wunderliche Knirps (S. 38), die vermaledeite Mißgeburt, das durch und durch verwahrloste Männlein (S. 46), Erdwurm (S. 47), das unheimliche Ding (S. 48), ein mißgeschaffener Kerl (S. 49), ein ganz verfluchter Hexenkerl (S. 51) bezeichnet. Er kommt aus den untersten Volksschichten. Der wunderbare Zauber des Fräuleins liegt in drei feuerfarbglänzenden Haaren.

Weiterhin wird die Geschichte der Fee Rosabelverde erzählt. Sie lebt als Fräulein Rosenschön in einem Dorf und wurde auf Wunsch des Fürsten in ein Stift angenommen. Wegen böser Gerüchte, die in Umlauf gesetzt wurden, hielt man sie für eine Hexe. Wie im Mittelalter wollten die Dorfbewohner die Wasserprobe, die gewöhnliche Hexenprobe (s. 13) durchführen. Der Fürst erließ einen Befehl, daß es keine Hexen gäbe (ebd.) und drohte mit empfindlicher Leibesstrafe (ebd.) allen, die dem Fräulein etwas zu Leide tun sollten. So wollte er die Fee schützen. „Klein Zaches“ spielt sich in einem exemplarischen Fürstentum ab. Es wird als eine Idylle geschildert. Der weise Fürst Demetrius ließ den Menschen und den Feen ihre Freiheit. Auf den Thron folgt ihm sein Sohn Paphnutius:

Er beschloß zu regieren, und ernannte sofort seinen Kammerdiener Andres [...] zum ersten Minister des Reiches. „Ich will regieren, mein Guter!“ rief ihm Paphnutius zu. Andres las in den Blicken seines Herrn, was in ihm vorging, warf sich ihm zu Füßen und sprach feierlich: „Sire! die große Stunde hat geschlagen! – durch Sie steigt schimmernd ein Reich aus nächtigem Chaos empor! – Sire! hier fleht der treueste Vasall, tausend Stimmen des armen unglücklichen Volks in Brust und Kehle! – Sire! – führen Sie die Aufklärung ein!“ (S. 15).

So wollen sie alle Feinde der Aufklärung vertreiben, also Leute von gefährlichen Gesinnungen, die keiner Vernunft Gehör geben und das Volk durch lauter Albernheiten verführen (S. 16). Andres stellt seine Pläne dar. Die Feen sollen nach Dschinnistan fortgeschickt werden, also nach ihrem Vaterland. Rosabelverde gelingt es, der Verbannung zu entkommen und sich in einem Damenstift zu verbergen. Doktor Alpanus zieht sich in ein Landhaus zurück.

Weiterhin führt der Erzähler die Figur des Gelehrten Ptolomäus Philadelphus ein, der in Briefen an seinen Freund Rufin seine Beobachtungen schildert. Er berichtet über seinen Aufenthalt im Fürstentum, das jetzt von Paphnutius‘ Nachkommen Barsanuph regiert wird. Er beobachtet einen Umzug von Studenten der Universität Kerepes, den er als fremd und absurd betrachtet. Der Gelehrte wertet die fremden Bräuche ab, nur weil er mit ihnen nicht vertraut ist. An der erwähnten Universität versammeln sich die aufgeklärten Geister, unter ihnen eine weitere zweifelhafte Gelehrtenautorität, ein Professor der Naturkunde Mosch Terpin:

[...] er erklärte, wie es regnet, donnert, blitzt, warum die Sonne scheint bei Tage und der Mond des Nachts, wie und warum das Gras wächst etc., so daß jedes Kind es begreifen mußte. Er hatte die ganze Natur in ein kleines niedliches Kompendium zusammengefaßt, so daß er sie bequem nach Gefallen handhaben und daraus für jede Frage die Antwort wie aus einem Schubkasten herausziehen konnte (S. 23).

Der Student Balthasar tritt ins Spiel der Handlung ein. Er ist als ein romantischer Schwärmer angelegt – melancholisch, immer geistesabwesend. Sein Freund Fabian erkennt, dass er in die Tochter des Professors, Candida, verliebt ist. Balthasar lässt sich von ihrem Aussehen blenden, im Grunde genommen handelt es sich jedoch um ein durchschnittliches, oberflächliches Mädchen: Dabei hatte Candida Goethes „Wilhelm Meister“, Schillers Gedichte und Fouqués „Zauberring“ gelesen, und beinahe alles, was darin enthalten, wieder vergessen [...]. Wollte man durchaus an dem lieben Mädchen etwas aussetzen, so war es vielleicht, daß sie etwas zu tief sprach, sich zu fest einschnürte, sich zu lange über einen neuen Hut freute und zu viel Kuchen zum Tee verzehrte (S. 35).

Der Zauber des Zaches verfängt Balthasar nicht. Während eines literarischen Abends beim Professor liest er sein für Candida verfasstes Gedicht von der Liebe der Nachtigall zur Purpurrose vor. Sein Erfolg wird Zinnober zugeschrieben, der Balthasar durch einen katzenähnlichen Schrei in Verlegenheit bringt. Ein italienischer Geiger Vincenzo Sbiocca erlangt dieselbe Einsicht, als nach seinem Konzert Zinnober Beifall geklatscht wird. Der Referendarius Pulcher besteht aus Zinnobers Schuld eine Staatsprüfung auf die Stelle des Geheimen Expedienten beim Außenministerium nicht und so bekommt Zinnober die Arbeit. Er glänzt in den Salons, macht eine Blitzkarriere. Die Verdienste anderer werden dem Wurzelmann zugeschrieben, er erwirbt sich Gunst und Bewunderung aller. Er zieht alle fremde Leistung an und steigt vom Jurastudenten zum Minister auf. Die aufgeklärte Gesellschaft von Kerepes verfällt total dem Zauber. Seine Dummheit wird jeweils seinen Gegnern angerechnet. Zinnober wird für Balthasar zu einem erntshaften Konkurrenten in der Bewerbung um die Hand von Candida.

Um Zinnober zu besiegen, wird die Figur des Doktors Prosper Alpanus eingeführt. Die Fee Rosabelverde und Alpanus meinen es gut. Die Fee muss nur erkennen, dass ihre Tat sich zum Bösen gewendet hat. Dies geschieht während eines Zaubererduells, als die beiden ihre Zauberkräfte messen. Alpanus zerbricht den magischen Kamm, mit dem sie die Zauberkraft Zinnobers immer wieder erneuern muss. Die beiden scheiden als Freunde und so reißt Balthasar Zaches seine goldenen zinnoberroten Haare aus und verbrennt sie. Der entzauberte Zaches wird als Affe verhöhnt und flüchtet sich in ein silbernes Geschirr. Die allgemeine Verblendung erlischt. Candida erkennt, dass sie eigentlich Balthasar liebt.

Primärliteratur:

HOFFMANN, E.T.A. (1819): Klein Zaches genannt Zinnober. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2008.

E.T.A. Hoffmann - "Klein Zaches genannt Zinnober". Zur Entstehung

„Klein Zaches genannt Zinnober“ erschien Mitte Januar 1819 bei Ferdinand Dümmler als eine selbständige Publikation. Im Mai/Juni 1818 war Hoffmann schwer erkrankt und für einige Wochen blieb er im Bett. In seinem Bericht zitiert Julius Hitzig Hoffmann aus der Erinnerung: Ein häßlicher, dummer kleiner Kerl, - fängt alles verkehrt an, - und wie was Apartes geschieht, hat er’s gethan (zit. nach KREMER 1999: 100). Noch im November arbeitete Hoffmann an der Niederschrift. „Klein Zaches“ wurde von der zeitgenössischen Kritik relativ wohlwollend aufgenommen: Man goutiert den humoristischen Zug und versöhnlichen Abschluß oder man wendet sich gegen die Vermischung von Märchen und Satire (ebd., 102).

Quelle:

KREMER, Detlef (1999): E.T.A. Hoffmann. Erzählungen und Romane. Berlin: Erich Schmidt Verlag.

5.2.12

Hugo von Hofmannsthal - "Der Tor und der Tod" (1893). Teil 1

„Der Tor und der Tod” ist ein Einakter. Hofmannsthal war 19, als er ihn schrieb. An der Stelle von Claudio könnte jeder Mensch stehen, er ist ein Repräsentant. An seiner Stelle könnte sich jedermann befinden.

Man sollte das Leben genießen. Erst im Augenblicke des Todes weiß der Mensch das Leben zu schätzen.

Claudio ist ein junger Mensch, Anfang 20, aus einer wohlhabenden Familie. Er muss sich keine Sorgen um finanzielle Sachen machen, muss nicht arbeiten. Er wird als Faust der Jahrhundertwende bezeichnet – ist unglücklich, will immer mehr unternehmen, entscheidet sich für sehr drastische Maßnahmen. Claudio will mit dem Tode verhandeln und das erinnert an den Teufelspakt. Er will, dass der Tod Erbarmen zeigt.

Claudio lebt in Isolierung. Er distanziert sich von der Welt, von der Umwelt. Es scheint, als ob er zu dieser Welt nicht gehören würde, als ob er an diesem Leben nicht teilnehmen würde. Er ist sich dessen nicht bewusst, dass sein Leben verpfuscht ist. Empfindungen, Gefühle sind ihm fremd. Er war ein Beobachter, ein Zuschauer des Lebens. Claudio hat bestimmte Vorstellungen – er meint, es erwartet ihn etwas Besseres.

Er stilisiert alles zu einem Kunstwerk. Er muss erkennen, dass man Kunstwerke mit der Realität nicht vergleichen sollte, weil sie perfekt, einwandfrei sind. Er hat erwartet, dass alles so sein wird wie in einem Kunstwerk – Umgebung und Menschen. Claudio will, dass die Welt so ist wie auf den Bildern – das ist die Ursache für seine Isolierung, für die Außenseiterposition. Die Wirklichkeit entspricht nicht seinen Vorstellungen.